Dave Duncan
besorgt aus, als grübele er über ein Problem nach, und seine hängende Unterlippe war noch feuchter als sonst. Er hatte doch wohl nicht an seinem Daumen gelutscht, oder etwa doch?
Neben ihm stand schon der verhaßte Prokonsul Yggingi, ein harter, kurz angebundener Mann in den Vierzigern. Uh! Sein Haar war so kurz geschnitten, daß sein eckiger Kopf beinahe kahl erschien, und wie üblich war er in Bronze und Leder gekleidet, vom Brustpanzer bis zu den Beinschienen. Mit Yggingi zu tanzen war wie ein Kampf gegen eine Regentonne. Wie üblich hielt er auch seinen Helm unter einem Arm – vielleicht fürchtete er sich zutiefst vor Erdbeben und hatte kein Vertrauen in die Decken von Kinvale. Andere Offiziere, die Kinvale besuchten, trugen nicht die ganze Zeit ihre Uniform. Seine Frau war kaum in der Öffentlichkeit zu sehen, eine Halbinvalidin, deren Existenz er ignorierte, während er Inos unerbittlich nachstellte. Seine einzigen Gesprächsthemen schienen seine Militärkarriere zu sein und sein unvergleichlicher Erfolg bei irgendeinem Massaker an Gnomen. Er war so verabscheuungswürdig, daß selbst Tante Kade kaum ein gutes Wort für ihn fand.
Was hatte ihn also dazu geführt, sie herbeizuzitieren? fragte sich Inos, als sie zu dem boshaften alten Relikt auf ihrem hohen Stuhl gewandt einen Knicks machte sowie zu dem massigen Herzog, der sich steif verbeugte; als sie sich weniger tief vor dem ungeheuerlichen Yggingi verbeugte; und dann war da noch ein weiterer Mann, beim Fenster, der hinaussah auf die –
Andor!
Die Welt blieb stehen.
Es war Andor, wirklich Andor. Sie erkannte das göttergleiche Profil sofort, als er sich umdrehte. Er hatte dieselbe blaue Weste und dieselbe weiße Hose an, die er getragen hatte, als sie sich kennenlernten, doch jetzt trug er darüber einen langen Umhang aus kobaltblauem Samt, eingefaßt mit Hermelin, der bis auf seine Schuhe mit den Silberschnallen hinunterhing. Er drehte sich langsam um, um sie anzusehen, und ignorierte ihre Tante und alle anderen. Seine dunklen Augen blickten nur sie allein an.
Ein Mann, wie ein Mann sein sollte.
Er war dünner, blasser… eine schreckliche Folter? Eine Katastrophe oder ein übernatürliches Leid, tapfer ertragen? Und vielleicht war es noch nicht vorbei, denn in diesen unvergeßlichen Augen zeigten sich große Probleme und Sorgen – nichts war zu sehen von der sprühenden Fröhlichkeit, an die sie sich so gerne erinnert hatte.
Er schritt langsam zu ihr herüber, während sie versuchte, ihm ein Willkommenslächeln zu schenken und nicht wie ein Trottel zu grinsen. Er nahm ihre Hände und verbeugte sich. Seine Augen hatten bereits Bände gesprochen – Hochachtung, Freude, sie zu sehen… tiefe Sorge?
Sorge?
Und endlich sagte er: »Meine Prinzessin!«
»Sir Andor!« Mehr konnte sie nicht sagen. Seine Prinzessin! O ja! Schließlich bemerkte Andor Kade und verbeugte sich eilig vor ihr.
Und die alte Vettel auf ihrem hohen Stuhl hatte nicht ein bißchen dieser Wiedervereinigung verpaßt, nicht das geringste!
»Nehmt Platz, meine Damen!« krächzte sie mit ihrer dünnen, alten Stimme.
Unfähig, Andor nicht weiter anzustarren, ließ sich Inos von ihm zu einem Stuhl führen und beobachtete, wie er sich ihr gegenüber niederließ und seinen Umhang graziös zur Seite warf, als er Platz nahm. Kade und die anderen Männer fanden ebenfalls irgendwo Platz.
Was konnte denn so dringend sein?
»Sir Andor hat Nachrichten für Euch, Kadolan«, sagte Ekka. »Für mich, Sir Andor?« Kade war vorsichtig, und ihre Augen flogen von Andor zu Inos und zu den anderen. Merkwürdig.
»Eure Hoheit«, sagte Andor und riß seine Augen von Inos los. »Ich bin der unglückliche Überbringer schlechter Nachrichten. Euer königlicher Bruder ist… ist sehr schwer erkrankt.«
Inos hörte sich selbst nach Atem ringen, aber Tante Kade nahm sofort Haltung an. Jetzt, wo sie wußte, um was es ging, zeigte sie nur höfliches Erstaunen. »Ihr kommt soeben aus Krasnegar, Sir Andor?«
Er senkte leicht seinen Kopf. »Jawohl. Ihr werdet Euch fragen, warum ich Euch nicht mein Ziel genannt habe, als ich fortging, und dieses Versäumnis muß ich Euch ausführlich erklären. Aber ich bin beinahe bis zum Winterfest dort geblieben. Als ich fortging, ging es Eurem Bruder immer schlechter.«
Vater! Inos rang die Hände und vergaß, daß Andor zu ihr sprach. O Vater!
Andor blickte erst sie, dann Kade an. »Ich habe einen Brief des gelehrten Doktor Sagorn bei mir, doch seinen Inhalt
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