Dave Duncan
hat er mir nicht offenbart. Er rechnet nicht damit, daß seine Majestät von seiner Krankheit genesen wird. Höchstens noch einige Monate.« Er entnahm einer Tasche seines Umhangs ein Päckchen, erhob sich und trat vor, um es Kade zu überreichen.
Vater! Vater! Dem Tode nah? Nein! Nein! Nein! Tante Kade nahm den Brief und hielt ihn auf Armeslänge von sich, um den Inhalt zu überfliegen. Dann legte sie ihn ungelesen auf ihren Schoß und faltete ihre Hände darüber, während Andor sich wieder setzte.
»Ihr glaubt also, wir sollten uns auf eine Abreise mit dem ersten Schiff im Frühling vorbereiten, Sir Andor?«
»Falls der ehrwürdige Weise recht hat, Ma’am, ist das nicht früh genug.« Der barsche Ton des uneleganten Yggingi mischte sich ein. »Schlagt Ihr etwa vor, diese beiden Damen sollten die Reise über Land machen?«
Andor bedachte ihn mit einem langen, unergründlichen Blick. »Das müssen sie selbst entscheiden, Exzellenz. Ich habe schlimmere Reisen mitgemacht.«
Schlimmere! Inos dachte an all die entsetzlichen Geschichten, die sie gehört hatte, und sie erschauerte wieder. Dieser wunderbare Andor konnte diese schreckliche Reise einfach so herunterspielen?
»Zum Beispiel?« Yggingi blickte diesen gelassenen jungen Emporkömmling finster an.
»Die Ebene der Knochen. DyreKanal? Menschenfresser machen mir mehr Angst als die Kobolde.«
»Ihr habt im Wald Kobolde getroffen?«
»Zweimal.« Andor streckte seine Hände aus und lächelte. »Ich ziehe es vor, ihre Gewohnheiten nicht vor Damen zu beschreiben, aber ich habe immer noch meine Fingernägel, wie Ihr seht. Kindische Wilde, aber recht gastfreundlich. Meine Kampfeskunst war ein wenig eingerostet, aber offensichtlich akzeptabel – ein paar Verstauchungen waren alles…«
Fabelhafter Mann!
»Wenn Prinzessin Kadolan beschließen würde, diese Reise zu wagen, Prokonsul«, fragte die Herzogin mit ihrer brüchigen Stimme, »könntet Ihr eine Eskorte für sie bereitstellen?«
Der große Soldat betrachtete sie einen Augenblick lang nachdenklich. »Ich verfüge natürlich über Truppen. Die schlimmste Kälte liegt hinter uns, aber es wäre immer noch eine harte Herausforderung an die Ausdauer, selbst für Männer. Für vornehme Damen wäre es eine schlimme Folter.«
Er hielt inne und wartete.
»Es wäre sicherlich ein Abenteuer«, bemerkte Kade fröhlich. »Inos und ich müssen darüber beraten, wenn wir gelesen haben, was Doktor Sagorn geschrieben hat. Wir werden Euer großzügiges Angebot nicht vergessen, Exzellenz.«
Inos merkte, daß ihr Mund offenstand, und sie schloß ihn eilig. Daß ihre Tante an eine solche Reise auch nur dachte, war einfach unglaublich.
»Ich bin sehr neugierig, Sir Andor«, krächzte Ekka, »warum Ihr von hier nach Krasnegar gezogen seid, ohne meine Schwägerin oder ihre Nichte über Euer Ziel zu informieren. Sie hätten Euch vielleicht gerne Briefe mitgegeben.« Sie entblößte safrangelbe Zähne zu einem Lächeln, das sein Blut hätte gefrieren lassen können.
Andor bestätigte diesen Einwand mit einem winzigen Nicken. »Darauf bin ich nicht stolz, Euer Gnaden.« Einen Augenblick lang starrte der gutaussehende junge Mann die häßliche alte Frau an, als wolle er testen, wer den stärkeren Willen hatte, doch dann fuhr er ruhig fort. »Ich habe mich dummerweise selbst in einen Interessenkonflikt begeben. Es betraf ein Versprechen, das ich einem alten Freund gegeben hatte, jemandem, dem ich sehr viel schulde, auch ein teurer Freund meines Vaters –«
»Ich habe den Namen und die Funktion Eures Vaters vergessen, Sir Andor.«
»Senator Endrami, Ma’am.«
Inos widerstand der Versuchung, aufzuspringen und zu jubeln. Daran hatten sie erst mal zu kauen! Ein imperialer Senator? Andor kein bescheidener Abenteurer, sondern der Sohn eines Senators?
Die Herzogin gewährte ihm diesen Punkt. »Ich habe es also doch nicht vergessen. Ich war darüber nicht im Bilde. Ein jüngerer Sohn, nehme ich an?«
»Der achte.« Andors Lächeln hätte einen Haufen Basilisken zähmen können. »Ein sehr viel jüngerer Sohn eines sehr viel älteren Vaters. Ich ehre das Andenken meines Vaters, Euer Gnaden, aber ich ziehe es vor, nach dem beurteilt zu werden, was ich aus meinem Leben mache, und nicht nach seinen Leistungen.«
Noch ein Punkt für Andor!
»Dennoch«, so fuhr er fort, »ist Doktor Sagorn ein alter und teurer Freund, der mir in meiner Jungend oft geholfen hat. Er wiederum war einem alten Freund verpflichtet, König Holindarn
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