Dave Duncan
es war Zeit zu gehen. Also küßte sie das eingefallene, gelbe Gesicht und ging davon. Sie stieg langsam die Treppen hinunter, durchquerte das Ankleidezimmer, dann noch eine Treppenflucht. An der Tür des Wohnzimmers blieb sie stehen, um sich umzusehen und nachzudenken.
2
Der Rat und einige andere waren anwesend, und alle warteten beim Schein der Lampen, denn die Fenster waren jetzt ganz dunkel. Noch hatte niemand Inos in der Tür bemerkt. Königinnen hatten keine Zeit für persönliche Trauer – sie mußte sich um ihr Erbe kümmern. Sie hatte auf der Reise oft genug mit Kade und Andor über dieses Problem gesprochen. Würde Krasnegar eine Königin akzeptieren? Eine jugendliche Königin? Die Imps würden es wahrscheinlich tun, glaubte sie, aber die Jotnar vielleicht nicht. Jetzt hatte ihr Vater ihr das Königreich übergeben, aber er hatte den Rat nicht informiert; das würde vielleicht gar nicht viel bedeuten, denn den nächsten Zug würde der verhaßte Yggingi machen, dessen Armee das Königreich im Griff hatte. Welche Bedingungen würde er stellen? Würde sie gezwungen werden, seiner imperialen Majestät Emshandar IV Treue zu schwören?
Dort standen oder saßen sie also, wie sie den ganzen Tag gewartet hatten; und in der Mitte stand Andor, schlank und anmutig in dunklem Grün, groß für einen Imp. Er war der Schlüssel zum Königreich, dachte sie. Wenn sie Andor heiratete, würde der Rat ihn als ihren Prinzgemahl akzeptieren. Er war jung, gutaussehend, liebenswürdig und kompetent. Selbst Foronod schien von ihm eingenommen zu sein und lächelte jetzt mit den anderen über eine Geschichte, die sie in glücklicheren Zeiten vermutlich zum Lachen gebracht hätte. Wenn Andor der Schlüssel war, dann war Foronod das Schloß, denn er war ein Jotunn und vermutlich der einflußreichste von ihnen. Wenn der Verwalter Andor als König akzeptierte, dann würden es wahrscheinlich alle tun. Außer Yggingi vielleicht.
Andor wäre nicht mit ihr zurückgekommen, wenn sie ihm gleichgültig wäre.
Schließlich bemerkte man sie. Sie wandten sich ihr in mitfühlendem Schweigen zu. Dort war auch Mutter Unonini, wie immer in schwarzer Robe und mit düsterem Gesicht. Tante Kade in silber und pink hatte auf den Stufen gesessen wie ein Wachhund. Gesegnet sei sie!
Sie drückte Tante Kade an sich und wurde selbst von der Kaplanin umarmt, die nach Fisch roch. Inos fragte sich, wie sie jemals vor dieser kleinen Klerikerin hatte Angst haben können, die unter Verdauungsstörungen litt und ständig eine Miene mit sich herumtrug, die von Versagen und bitterem Exil geprägt war.
Die Männer verbeugten sich einer nach dem anderen. Inos nickte ihnen feierlich zu: Foronod, verbissen, hager in seiner dunkelblauen Robe, winterlich blaß, sein weiß-goldenes Jotunnhaar vor dem Dunkel des Fensters leuchtend; der alte Kanzler Yaltauri, ein typischer Imp, klein und dunkelhäutig, für gewöhnlich ein lustiger Mann, aber auch sehr belesen; der viel ältere Seneschal Kondoral, der ganz offen weinte; der undefinierbare, unfähige Bischof Havyili und all die anderen.
»Es wird nicht mehr lange dauern«, sagte sie.
Mutter Unonini wandte sich um und ging zur Treppe.
»Du mußt etwas essen, Liebes.« Kade führte sie an den Tisch, der mit weißem Leinen, Silber und feinstem Porzellan gedeckt war, wie eine kleine Oase aus Kinvale in der öden Arktis, doch der Kuchen und das Gebäck darauf wirkten klobig und schwer. Und dort – o Wunder über Wunder! – über einer wärmenden Flamme, Tante Kades riesige, silberne Teemaschine, wie ein vergessener Geist aus Inos Kindheit. An dem Tag, als sie Sagorn kennengelernt und die Maschine umgeworfen hatte – ein absurdes, unwichtiges, geschmackloses Ding! – hatte Vater sie damit aufgezogen, sie, habe beinahe das Schloß niedergebrannt… Dieses heimtückische, unerwartete und irrelevante Stück Erinnerung huschte schnell hinter ihren Schutzwall, griff nach ihrer Kehle und überwältigte sie beinahe, doch sie riß ihre Augen schnell von der scheußlichen Teemaschine los und wollte gerade sagen, danke nein, sie könne nichts essen. Doch da war ihr Mund schon voller Gebäck. Also setzte sie sich hin, trank den starken Tee, den Tante Kade ihr aus eben jener monströsen Maschine einschenkte, die jetzt einfach wieder nur ein sehr häßliches Gerät war.
Dann blickte sie auf und sah, daß Mutter Unonini wieder da war. Inos erhob sich langsam, wurde umarmt und erneut von einem starken Fischgeruch umfangen. »Inosolan,
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