Dave Duncan
Vater, wie es jedermann glaubte, ihr ein Wort der Macht hinterlassen hatte, so hatte sie es falsch verstanden. Bislang hatte sie keinerlei Zeichen an sich bemerkt, daß sie in irgendeiner Hinsicht ein okkultes Genie sein könnte.
Warum war der Hexenmeister so grausam gewesen, sie nach Zark zurückzuschicken? Jeder Ort im Impire wäre für eine alleinstehende Frau ohne Fähigkeiten, ohne Titel, ohne Geld, ohne Freunde besser gewesen.
Vielleicht hatte sie einen Freund, aber sie war sich nicht sicher, daß sie ihn zum Freund haben wollte. Und selbst seiner war sie sich nicht mehr sicher. Seit Azak aus dem Schiffsgefängnis entlassen worden war, hatte er nicht mehr gesagt, daß er sie liebe. War sie es, die er zu lieben geglaubt hatte, oder nur der romantische Mythos einer schönen, enteigneten Königin? Wovon hatte er geträumt – ihr Ehemann zu sein oder König von Krasnegar? Wenn er sie immer noch wollte, könnte sie ihn jemals wollen?
Der Azak, der ihr in der Wüste ein guter Gefährte gewesen war, das war Azak der Löwentöter, ein unabhängiger Kämpfer ohne Königreich auf den Schultern. Der Azak, den sie soeben auf dem Kai erspäht hatte, war der grausame Sultan, hart und finster, der alle in Angst und Schrecken versetzte.
Vielleicht hätte sie lernen können, den einen zu lieben; sie bezweifelte, daß es ihr bei dem anderen jemals gelingen würde.
Falls Rasha jetzt aus Arakkaran fliehen mußte, um dem Hexenmeister zu entgehen, dann wäre Azak frei, als Sultan zu leben, wie er es sich wünschte. Es stünde ihm frei zu heiraten, wenn er das wollte, obwohl er keine Königin mehr heiraten konnte, denn die gab es nicht mehr. Vielleicht zog er eine Frau seiner eigenen Rasse vor, eine, die sich leichter tun würde, den königlichen Haushalt zu führen. Die die Gesellschaft der Prinzen nicht schockieren würde, weil sie auf die Jagd gehen wollte. Die ihrem Herrn gegenüber angemessen respektvoll wäre, ihn nicht necken und ihm nicht widersprechen würde.
Er begehre sie, hatte Elkarath gesagt. Aber Azak war niemals kleinlich. Vielleicht würde er sein Eheangebot aus politischer Zweckmäßigkeit zurückziehen, aber… aber gewiß würde es doch immer ein Bett für sie im Palast geben?
Sie hatten zusammen gespielt.
Inos hatte verloren.
Und Rasha hatte verloren. Also hatte Azak gewonnen.
Wenn Inos den Posten einer Gebärmaschine für Söhne akzeptierte, was geschah dann, wenn sie vierzig war, und Azak schon lange hingemeuchelt, und jemand anderes auf dem Thron saß? Wem würde dann das Eigentum an ihrer Person übertragen werden?
Über all diese Dinge dachte sie in der heißen und stickigen Kalesche nach, während diese den Berg erklomm. Sie dachte immer noch darüber nach, als der Wagen im Hof des Palastes rumpelnd zum Stehen kam.
»Nach den Härten der Wüste und der Enge eines Schiffes«, sagte Kade heiter, »wird es hübsch sein, wieder ein wenig echte, luxuriöse Dekadenz zu genießen.«
3
Ihre alten Quartiere waren von einem anderen Prinzen und seinem Haushalt übernommen worden. Kade und Inos wurden zu einer kleinen Flucht von Zimmern geleitet, die sie nie zuvor gesehen hatten. Verglichen mit den früheren Räumen waren sie schäbig; verglichen mit irgendwelchen anderen aber immer noch prächtig. Ein halbes Dutzend verschleierter Frauen erwartete sie, aber sie waren mürrisch und wenig gesprächig. Von Zana war nichts zu sehen.
Inos verlangte nach einem Bad, und sie genoß es sehr. Danach wühlte sie trotzig ihn ihrem Schrankkoffer, bis sie ein hautenges imperiales Kleid aus kühler grüner und weißer Seide fand; ihr Haar flocht sie sich selbst. Sie behängte sich mit Perlen, bewunderte ihr Bild in einem Spiegel und hätte am liebsten geweint.
Kade trug, als sie erschien, einen zarkianischen Tschador aus weißer Baumwolle bei sich, doch war ihr Kopf nicht bedeckt.
Sie umarmten sich ohne Worte und schlenderten hinaus auf einen Balkon, der auf einen wunderschönen Garten hinausging. In den Bäumen kreischten Papageien.
»Schön, wieder zu Hause zu sein?« fragte Inos bitter und schnupperte die Blumendüfte in der Luft.
»Ich genieße die kleinen Annehmlichkeiten.« Kade wartete, und als sie keine Antwort bekam, fuhr sie fort. »Glaube nicht alles, was Master Skarash sagt, Liebes. Er ist kein sehr zuverlässiger Zeuge.«
»Aber es ergibt einen Sinn. Alles ergibt einen Sinn. Und sonst nichts.«
Kade seufzte und ging zu einem Sessel hinüber. »Nun, vielleicht hast du dein Königreich verloren. Sicher
Weitere Kostenlose Bücher