Dave Duncan
Hier gibt es keine Armeen! Zauberer fürchten nur andere Zauberer, also sind die Mauern des Schlosses undurchlässig für Magie… Ich hatte davon gehört, es aber vergessen. Nun komm! Wir werden erfrieren, wenn wir uns nicht bewegen!«
Mit Andor im Gefolge führte Rap die Pferde durch die Gassen von Krasnegar, und die Götter schienen sie anzufeuern. Die wenigen Leute, die ihnen entgegenkamen, waren so sehr in ihre Festvorbereitungen vertieft, daß sie sich nicht wunderten, wohin Rap zu dieser Jahreszeit wohl mit Pferden gehen mochte. Die meisten erkannten ihn in den neuen Kleidern nicht einmal, und der Rest wünschte ihm fröhlich alles Gute. Die Stadttore waren unverschlossen. Andor legte den Querbalken um, und Rap folgte ihm zum Hafen – und blieb stehen, um sich nach Bären umzusehen.
Nichts bewegte sich in der schwarzen Stille. Weder Augen noch Sehergabe zeigten eine Gefahr. Im Frühling und im Herbst zogen weiße Bären an der Küste entlang. Mitten im Winter war es sicher – jedoch nicht immer.
»Kann nichts sehen«, murmelte Rap nervös.
»Richtig!« Andor ging voraus zu einem Bootssteg, und die wahnsinnige Unternehmung nahm ihren Lauf.
Die Nacht war windstill, ruhig und unglaublich kalt. Der Dampf aus den Nüstern der Pferde stieg auf wie der Rauch eines Freudenfeuers. Rap, warm eingepackt in seine neuen Felle, konnte die tödliche Kälte nur auf den Stellen seines Gesichtes spüren, die nicht bedeckt waren, doch das Innere seiner Nase schien zu gefrieren. Der Schnee knirschte laut unter Hufen und Stiefeln.
Der Halbmond hatte das Polarlicht und die meisten Sterne vertrieben. Jetzt fiel sein geisterhaftes Licht vom klaren schwarzen Himmel und glitzerte auf der eisbedeckten Bucht. Auf den Inseln des Dammes häuften sich Eisschollen, aber die Bucht selbst würde sicher sein – falls sie jemals dort hingelangten, denn an den Rändern türmten sich in wildem Durcheinander zerklüftete Blöcke aus Stein, scharfem Eis und weichem Schnee. Schneeverwehungen und Schatten verbargen tiefe Löcher, manche so tief, daß sie bis zum Wasser hinunterreichten und nur von einer trügerisch dünnen Schicht aus neuem Eis bedeckt waren. In den ersten Minuten war Rap verunsichert und überzeugt, er würde niemals den Weg durch diese Fallen finden, über Oberflächen, die fest aussahen und es dennoch nicht waren. Den Pferden hinter ihm ging es nicht besser, und er konnte ihr Entsetzen spüren.
»Laß dir Zeit«, hörte er Andor s ruhige Stimme hinter sich. »Die Sehergabe wird dir helfen.«
Raps rechter Fuß sank tief in den weichen Schnee. Er stolperte gegen eine kristallene Wand, zog den Fuß heraus und sank mit dem anderen ein, dann mit dem zweiten, und blieb schließlich stehen, bis zu den Hüften im Schnee versunken. Er japste vor Nervosität und Anstrengung und blies Wölkchen in die Luft, die im Mondlicht in allen Regenbogenfarben schimmerten. Er dachte an die endlosen Meilen, die vor ihnen lagen. Bei dieser Geschwindigkeit würden sie verhungern, bevor sie noch das Festland erreicht hatten, von den Wäldern ganz zu schweigen.
»Warte!« rief Andor, als Rap mühsam versuchte, sich zu befreien. »Schließ deine Augen!«
Rap schloß seine Augen. Er wußte, daß zu seiner Rechten ein riesiger schräger Sockel war, und zu seiner Linken massive Felsen, aber natürlich bestand der Weg vor ihnen aus einer Schneewehe, und das Eis darunter fiel steil nach unten ab. Seine Augen hatten ihm das nicht gesagt. Dort drüben war das Eis jedoch dünner.
Es erschien ihm viel länger, doch konnte es kaum mehr als zehn Minuten gedauert haben, bis er einen Weg durch das Labyrinth gefunden hatte, zu den glatteren Flächen in der Mitte der Bucht, wo die Eisschollen von der Flut nicht so wild durcheinander geschoben waren. Dort schien es sicher genug, um aufzusitzen. Er hatte jetzt die Technik im Griff. Er brauchte seine Augen nicht mehr zu schließen, er konnte seine beiden Sehfähigkeiten im Geiste verbinden und nach vorne richten. Als sie das Durcheinander auf der. gegenüberliegenden Seite erreichten, führte er die Pferde hindurch, ohne ein einziges Mal umkehren zu müssen.
»Großartig! Rap, mein Junge, du bist unglaublich! Das wird eine Spritztour werden.«
Lob von Andor war wie ein warmes Getränk, es lief süß und warm durch Rap hindurch.
Seine Magie funktionierte auch an Land. Schon bald hatte er ein Gefühl für die Tiefe und Dichte des Schnees entwickelt – dafür, wo die Pferde gehen konnten und wo nicht.
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