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Dave Duncan

Dave Duncan

Titel: Dave Duncan Kostenlos Bücher Online Lesen
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in diesem Aufzug fröstelte er. Der Wind schlug mit vereistem Schnee in seine Knöchel und biß in sein Gesicht. Es war schwer, bei dieser Kälte zu atmen; seine Augen tränten, seine Nase lief, und der Schleim gefror in seinem Stoppelbart. Er krümmte sich innerlich bei dem Gedanken, daß man ihm sicher schon bald den Umhang wegnehmen würde, und er fragte sich, ob die Qualen, die der Wind ihm zufügen würde, weniger schlimm waren als das, was Little Chicken ihm anschließend antun würde.
    Ja, das waren sie. Es wäre die beste Strategie, so lange wie möglich durchzuhalten und auf Tod durch Erfrieren zu hoffen.
     
    »Haltet einfach Euer Ende hoch«, hatte Darad gesagt.
    Little Chicken schritt an das eine Ende des Astes; Rap wurde zum anderen Ende geleitet – natürlich zum dickeren, schwereren. Vier Männer hoben den Stamm an, und Rap fragte sich, ob er diese Last überhaupt halten könnte, ganz abgesehen von der Kälte. Er betrachtete das entsetzlich lange Stück Holz – rauhe Rinde und immer wieder hervorstehende Zweige. Die Männer bückten sich und wuchteten ihn hoch, und an der Unterseite klebte hartgefrorener Schnee.
    Dann wurde Raps Umhang fortgerissen, und die plötzliche Berührung der Luft mit seiner Haut war schlimmer, als in Eiswasser getaucht zu werden. Gequält schnappte er nach Luft und sah, wie Little Chicken seine Reaktion genoß. Plötzlich wurde er nach vorne geschubst, unter das Ende des Astes, und die Männer senkten den Ast herab. Scharfe, harte Rinde biß in seine Schulter, das Gewicht brachte seine Knie beinahe zum Nachgeben, verzweifelt suchte er mit seinen Handschuhen Halt.
    Little Chicken hielt den Ast an einem praktisch hervorstehenden Zweig. An Raps Ende gab es keinen derartigen Griff, also stand ihm weniger Hebelkraft zur Verfügung – High Raven hatte nichts übersehen. Der Kobold packte fester zu und trat zurück, wobei er am Ast zog.
    Rap war nicht darauf vorbereitet gewesen, mehr zu tun, als das Gewicht zu halten. Der plötzliche Ruck zog ihm beinahe den Ast von der Schulter. Er stolperte vorwärts und schien gerade unter der monströsen Last zusammenzubrechen, richtete sich unter großen Mühen aber wieder auf, wobei er einen Fetzen Haut von seiner Schulter abriß. Little Chicken grinste glücklich und stieß zu; Rap stolperte rückwärts und fiel beinahe wieder hin. Die Zuschauer kreischten zotige Bemerkungen.
    Bei diesem Spiel war anscheinend alles erlaubt, aber nach diesen beiden spielerischen Versuchen gab Little Chicken seine Bemühungen auf, Raps Griff den Ast zu entziehen – er würde sich den Spaß verderben, wenn es ihm gelang. Er spreizte die Füße, richtete den Stamm mit einer Hand aus und stemmte die andere herausfordernd in die Hüfte. Dann stand er einfach da und lächelte und wartete darauf, daß die Kälte ihre Aufgabe wahrnahm.
    Die Zuschauer blieben jetzt still, zogen die Schultern als Schutz gegen die Kälte hoch, stampften mit den Füßen im Schnee und warteten ebenfalls. Kleine Kinder wurden quengelig. Hunde schnüffelten neugierig an den Knöcheln der Besucher. Schneegeister umkreisten den Lagerhof, und der Rauch aus den Schornsteinen zog von dannen.
    Sie würden nicht lange warten müssen. Rap konnte spüren, wie das Leben aus ihm wich. Es konnte nur noch wenige Minuten dauern, bis seine Körpertemperatur so weit fiel, daß er ohnmächtig wurde. Oder er würde einfach den Ast fallen lassen, denn seine Muskeln vollführten unkontrollierbare Zuckungen und seine Beine schlotterten heftig; er konnte kaum verhindern, daß seine Knie einknickten. Seine Zähne klapperten, seine Haut wurde weiß. Bald würde er so bleich wie ein Jotunn sein. Er versuchte, den Ast schnell anzuheben, aber er blieb unbeweglich. Little Chicken brauchte nicht einmal seine freie Hand zu heben, um ihn am Platz zu halten, geschweige denn seine Füße zu bewegen. Sein Grinsen wurde breiter, während er zusah, wie Rap immer schwächer wurde. Noch wenige Minuten, das sollte reichen.
    Rap dachte an seine Vision von der alten Frau, die ihn gewarnt hatte, er solle Little Chicken nicht verletzen, und er dachte, das müsse ein Witz gewesen sein.
    Welchen Sinn hatte hier ein Wort der Macht? Welchen Sinn Sturheit? Welchen Nutzen würde Rap für Inos haben, die ihres Thrones beraubt werden würde, weil er versagt hatte bei dem Versuch, sie zu warnen? Warum mußte sein Talent die Sehergabe sein statt körperlicher Stärke oder Ausdauer oder Andors unwiderstehlichen Listenreichtums? Nur die

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