David Trevellyan 01 - Ohne Reue
Die Kontrolle, die man dadurch gewinnt. Ist es wichtig, alle Details zu kennen? Was meinen Sie?«
Lesley steckte die Zange wieder in die Tasche und nahm stattdessen eine Schneiderschere heraus.
» Ich glaube nämlich, dass es da ein Detail gibt, das Sie noch nicht kennen«, meinte ich, » und zwar eines, das wichtiger ist als alles, was Sie mir bislang erzählt haben.«
» Na dann los«, forderte sie mich auf, trat zu mir und zog an meinem Hemd, bereit, es aufzuschneiden. » Teilen Sie es uns mit.«
» Das könnte ich tun«, überlegte ich. » Aber ich habe eine bessere Idee. Erinnern Sie sich noch an gestern, mit Cyril? Da haben Sie gesagt, es sei besser, etwas zu zeigen, als es nur zu sagen. Das habe ich mir gemerkt.«
Damit ließ ich die Kette los, griff fest nach ihrer rechten Hand und presste sie um die Schere, damit sie mich damit weder stechen noch sie fallen lassen konnte. Ohne sie loszulassen, wirbelte ich sie herum, zog meinen Ellbogen über ihren Kopf und zwang ihren Arm so hoch, dass sie die Scherenspitze in ihre eigene Kehle bohrte. Gleichzeitig riss ich die Browning aus dem Gürtel und sah zu George und dem Großen hinüber. Keiner von beiden hatte sich gerührt.
» Auf den Boden«, verlangte ich. » Alle beide.«
George reagierte zuerst. Er griff in die Innentasche nach einem alten Armeecolt. Ich schoss zweimal. Die Kugeln trafen ihn in die Brust, schleuderten ihn gegen die Wand, und als er hinunterglitt, hinterließ er einen leuchtend roten Streifen auf den Kacheln. Der Große reagierte einen Augenblick später und sprang mich mit ausgestreckten Armen an. Wieder schoss ich und traf ihn in Kopf und Schulter. Als er fiel, spürte ich, wie sich Lesleys Körper anspannte und dichter an mich presste. Ich wirbelte sie herum und schubste sie fort. Sie stolperte, fing sich nach vier Schritten jedoch wieder. Sie reckte mit blitzenden Augen das Kinn vor. Die Schere hatte sie noch in der Hand. Ich hätte es gerne gesehen, dass sie sie benutzte, aber sie blieb stocksteif stehen. Sie würde mir keinen Vorwand bieten.
Ich hob die Waffe und zielte genau zwischen ihre Augen. Ihre Lakaien lagen am Boden, aber eigentlich war sie diejenige, die die Kugeln verdient hätte. Es bestand kein Zweifel, wer der wahre Schuldige war. Mein Finger spannte sich um den Abzug. Noch ein bisschen mehr Druck und auch sie wäre Geschichte. Ich stellte mir vor, wie sie tot auf dem Rücken lag. So wie Raab, als ich ihn gefunden hatte. Aber dann musste ich an die Szene vorhin in der Gasse denken. Nichts hatte auf die Stelle hingewiesen, wo er gelegen hatte. Es hatte nicht einmal den leisesten Abdruck im Müll gegeben. Es schien, als hätte eine neue Flut von frischem Müll jede Spur seines Todes fortgespült und Lesleys Nachfolgern einen Neuanfang beschert. Wenn sie ebenfalls verschwand, würde niemand ihre Nachfolger daran hindern, weitere hilflose Opfer an ähnlichen Orten in der ganzen Stadt abzuladen, wo immer sie wollten. Zehn Millionen Dollar im Jahr sind ein starker Anreiz, um das Geschäft am Laufen zu halten. Es sei denn, Lesley würde dem FBI helfen, es vollständig aufzudecken.
Ich betrachtete noch einen Moment ihr Gesicht vor dem Lauf meiner Waffe und ließ sie dann sinken. Und ich konnte nur hoffen, dass Varley diesmal schnell ans Telefon ging.
Ein Mann konnte der Versuchung schließlich nicht ewig widerstehen.
20
In meiner Welt wimmelt es nur so von Betrug.
Man verbringt die meiste Zeit seines Lebens damit, Leute anzulügen. Wer man ist, woher man kommt, warum man bei ihnen ist, was man macht, für wen man arbeitet, woran man glaubt. Das führt zu interessanten Unterhaltungen, denn man weiß, dass man für eine Lüge, die man selbst erzählt, zehn andere erzählt bekommt. Dadurch verändert sich der Blickpunkt. Man achtet nicht mehr auf die Worte, sondern sucht nur noch nach Widersprüchen und speichert die unbedeutendsten Einzelheiten im Gehirn ab, um sie später zu überprüfen.
Am Ende ist man davon überzeugt, dass jeder etwas vor einem verbirgt, egal ob Freund oder Feind. Was der Wahrheit erfahrungsgemäß ziemlich nahe kommt.
Tanya hatte versprochen, mir einen Wagen zu schicken, der mich am nächsten Morgen zum Flughafen bringen sollte. Mir war das recht – es war besser, als sechzig Dollar für ein Taxi ausgeben zu müssen, und die Konsulatsfahrer sind angewiesen, ihre Fahrgäste nicht mit hirnlosem Geschwätz zu langweilen. Die Frage war nur, was für einen Wagen sie schicken würde. Den Gepflogenheiten
Weitere Kostenlose Bücher