David und Goliath
University wurde diese Gefahr schon vor über 50 Jahren erkannt. Als Fred Glimp in den 1960er Jahren Direktor der Zulassungsstelle der Universität Harvard wurde, führte er die Politik des »zufriedenen letzten Viertels« ein. 39 In einem seiner ersten Berichte schrieb er: »Egal wie gut ein Jahrgang ist, er hat immer ein unteres Viertel. Welche psychologischen Effekte resultieren aus der Wahrnehmung, nur Durchschnitt zu sein, selbst in einer außergewöhnlich fähigen Gruppe? Lassen sich Typen von Studierenden ermitteln, die diepsychologischen oder sonstigen Voraussetzungen mitbringen, um selbst im untersten Viertel zufrieden zu sein und das Beste aus ihrem Studium zu machen?« Er wusste, wie entmutigend der große Teich sein konnte, wenn man nicht zu den Allerbesten gehörte. Seiner Ansicht nach bestand seine Aufgabe darin, Studierende zu finden, die robust genug waren und außerhalb des Studiums genug positive Bestätigung erfuhren, um den Stress zu ertragen, ein sehr kleiner Fisch im sehr großen Teich von Harvard zu sein. Damals begann die Universität, talentierte Sportler zuzulassen, die akademisch oft weit hinter ihren Kommilitonen zurückbleiben. Wenn schon jemand als Kanonenfutter herhalten musste, dann sollte das vielleicht jemand sein, der zum Beispiel im Football Bestätigung erfährt.
Das ist auch der Grund, warum sich viele Bildungsexperten hinter vorgehaltener Hand besorgt über Quotenregelungen äußern, also darüber, dass Frauen und Minderheiten bei Bewerbungen bevorzugt behandelt werden. 40 Dank der positiven Diskriminierung gehören Studierende, die in Hartwick zu Stars werden könnten, in Harvard plötzlich mit einiger Wahrscheinlichkeit zu den Abbrechern. Werfen Sie noch einmal einen Blick auf die beiden Tabellen – wenn man jemandem helfen will, ist dies vielleicht nicht der beste Weg. 41
Seltsamerweise werden diese Fragen in der Öffentlichkeit kaum diskutiert. Bis heute raten Eltern ihren Kindern, sich für die beste Universität zu entscheiden, weil sie meinen, dass ihnen mit einem Abschluss von einer dieser Universitäten sämtliche Türen offen stehen. Wir gehen davon aus, dass der große Teich mehr Möglichkeiten eröffnet, genauso, wie wir meinen, dass Kinder in kleineren Klassen automatisch mehr lernen. Wir haben klare Vorstellungen davon, was Vorteile sind, doch diese Vorstellungen sind falsch. Und was ist die Folge? Wir machen Fehler. Wir verstehen den Kampf zwischen Underdogs und Riesen falsch. Wir sehen nicht, dass auch ein vermeintlicher Nachteil Türen öffnen kann.
Als Sacks ihre Bewerbungen verschickte, hatte sie keine Ahnung, dass sie ihre Chancen aufs Spiel setzte, auf dem Gebiet zu arbeiten, das ihr wirklich am Herzen lag. Heute weiß sie es. Am Ende unseres Gesprächsfrage ich Sacks, was passiert wäre, wenn sie sich für die University of Maryland entschieden hätte – wenn sie sich also entschlossen hätte, ein großer Fisch in einem kleinen Teich zu werden. Sie antwortet ohne zu zögern: »Dann wäre ich heute Naturwissenschaftlerin.«
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»Als Kind war ich ein begeisterter Schüler. Ich bin gern in die Schule gegangen, ich habe gern gelernt, und ich war gut«, erzählt Stephen Randolph. 42 Der große junge Mann hat streng gescheiteltes dunkelbraunes Haar, und an der Bügelfalte seiner Hose könnte man sich schneiden. »Ab der vierten Klasse habe ich Algebra für die High School belegt, ab der sechsten Geometrie. Nachdem ich in die Middle School gekommen bin, habe ich Mathematik, Biologie, Chemie und Geschichte in der High School mitbelegt. Ab der fünften Klasse habe ich außerdem in einem College bei uns im Ort Mathematikkurse und naturwissenschaftliche Fächer belegt. Nach dem Ende der High School hatte ich wahrscheinlich genug Kurse zusammen, um von der University of Georgia sofort einen Bachelor zu bekommen. Da bin ich mir ziemlich sicher.« Von der ersten Klasse an bis zum Ende der High School ging er jeden Tag mit Schlips zur Schule. »Es ist ein bisschen peinlich«, meint er. »Oder verrückt. Aber so war’s. Ich weiß nicht mehr, wie es angefangen hat. Eines Tages wollte ich mit Schlips in die Schule gehen, und danach habe ich ihn jeden Tag angelegt. Ich war halt ein Streber.«
In der High School war er Jahrgangsbester und hielt die Abschlussrede. Beim Hochschulzugangstest bleib er nur knapp unter der maximalen Punktzahl. Harvard und das Massachusetts Institute of Technology nahmen seine Bewerbung an, und er entschied sich für Harvard. In der ersten
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