Davids letzter Film
vor, als würde er unsere
Freundschaft verraten. Er traf sich plötzlich mit ganz anderen Leuten, nahm ganz neue Einfälle in das Projekt auf. Mit mir
hatte das bald nichts mehr zu tun.«
Er sah zu Boden. »Deshalb brach ich zu einer Reise auf, bevor der Film fertig war. Ich hielt es nicht mehr aus, immer mehr
aus dem Projekt herauszufallen. Ich hatte eine eigene Bewerbung zusammengestellt und bereits eingereicht.«
Er blickte auf. Theas Augen ruhten auf ihm. Er lächelte sie an. »Als ich von meiner Reise zurückkam, war die Arbeit am ›Auge‹
längst abgeschlossen und David schon mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Seinen Super 8-Projektor hatte er schon wieder verkauft. So konnte er mir zwar die Spulen zeigen, nicht aber den Film.«
Flo kniff die Augen zusammen. »Ich habe mit den Leuten gesprochen, die ihn gesehen hatten. Und alle waren begeistert. Danach
stand es fest: David war der Meister des Undergroundfilms. Ich habe auf dieses Urteil aber nie viel gegeben. Die Typen, mit
denen er in dieser Zeit zu tun hatte, das waren schon komische Existenzen, ehrlich gesagt. Zum Teil ziemliche Spinner, die
auf allen möglichen Hokuspokus abfuhren.«
Er bemerkte, dass Thea ihn so ansah, als verstünde sie, was er meinte. »Haben Sie den Film hier in der Villa gesehen?« fragte
er.
Thea nickte. »Wollen Sie ihn sich anschauen?«
Florian griff unwillkürlich nach ihrem Arm. »Wäre das möglich? Wow! Aber ja!«
9
Als die ersten Bilder über die Leinwand tanzten, fühlte Florian sich auf Anhieb um zwanzig Jahre in die Vergangenheit geworfen.
Thea hatte ihn durch einen langen, schmalen Gang in den hinteren Teil der Villa geführt, wo in einem fensterlosen, schwarz
angestrichenen Raum eine Art Privatkino eingerichtet war: Acht bequeme Sessel, eine professionelle Kinoleinwand und ein verglaster
Sichtschlitz, der in die gegenüberliegende Mauer gestemmt worden war und durch den der Film projiziert werden konnte. Sie
hatte ihn gebeten, in einem der Sessel Platz zu nehmen, erklärt, dass sie im Wohnzimmer auf ihn warten würde, und ihn allein
gelassen. Wenig später war es in dem Raum dunkel geworden, ein heller Lichtstrahl war quer durch das Dunkel auf die Leinwand
gefallen – dann hatte schlagartig der Film begonnen.
Bereits auf den allerersten Bildern war David zu sehen, der eine regennasse Kreuzberger Straße entlanglief. Den Kragen seines
schwarzen Jacketts hatte er hochgeschlagen, die Beine steckten in den obligatorischen schwarzen Jeans. Wie jung er war – er
sah fast aus wie ein Kind! Und doch kam es Florian so vor, als würde man ihm bereitsansehen, wie entschlossen er war, die Dinge auf seine Weise anzugehen. Zwar wurde dieser Ausdruck durch die Jugendlichkeit
seiner Züge gemildert. Aber umso faszinierender wirkte er.
Als Flo ihn aus der zeitlichen Entfernung jetzt auf der Leinwand wiedersah, begriff er zum ersten Mal, warum die Mädchen immer
nur David angeschaut hatten, wenn er mit ihm unterwegs gewesen war. Davids Gestalt zog die Blicke wie magisch auf sich. Selbst
auf der Leinwand schien seine Persönlichkeit einen förmlich anzuspringen.
In dem Moment – genau als David in die Kamera guckte – fror das Bild ein. Der Titel wurde eingeblendet. »Das Auge – Ein Film von David Mosbach«, in einer Schrift, die aussah wie aus einem deutschen Schwarzweißfilm der sechziger Jahre.
Flo atmete durch. Die Ruhe und Unerschrockenheit, die von Davids Standbild ausgingen, während zugleich respektloser Humor
in seinen Augen aufblitzte, irritierten ihn.
Dann lief der Film weiter. Eine raunende, ungeschliffene Musik begann wie von Ferne die schrammligen Bilder zu begleiten.
Der Ton war rauchig und zerkratzt, aber es wirkte absichtsvoll und passte gut zu der grobkörnigen Qualität der Aufnahmen.
Immer wieder hatte Florian während der Dreharbeiten versucht, von David zu erfahren, worum es in dem Film eigentlich ging.
Der aber hatte hartnäckig behauptet, das selbst nicht so genau zu wissen. Er würde eher Impressionen sammeln als einem roten
Faden folgen. Doch jetzt – während Flo den fieberhaften, flirrenden Bildern folgte – wurde ihm klar, dass »Das Auge« alles
andere war als eine lose Kette von Eindrücken.Vielmehr erzählte David darin mit gekonnter Ökonomie eine sehr geradlinige Geschichte.
Hauptfigur in dieser Geschichte war natürlich er selbst. David. Er spielte einen jungen Mann, der ziellos durch die Berliner
Nächte driftete, Freunde
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