Davids letzter Film
ihm griff. Er unterdrückte einen Aufschrei und stieß
sie zurück. »Lass uns die armen Teufel doch einfach mitnehmen! Oder wir kommen mit einem Licht wieder her und zeigen ihnen
den Ausgang!« Er zuckte zurück. David hatte ihm einen kleinen Schlag gegen den Brustkorb versetzt.
»Ich sagte es doch schon, Flo. Sie wollen nicht mehr raus hier. Sie fühlen sich wohl hier. Sie sind anders als du.«
Florian spürte, wie die Gestalten aus der Dunkelheit langsam auf ihn zu rückten. Arme und Hände griffennach seinen Füßen, nach seinen Haaren, nach seinem Hals und seinem Bauch. Mit einem Aufschrei entwand er sich ihren klebrigen
Gliedern. Doch schon im nächsten Augenblick zogen sie wieder an ihm.
Da flammte plötzlich ein Feuerzeug auf, genau vor seinen Augen, und in dem irrlichternden Schein sah er Davids Gesicht. Auch
ihm hingen bleiche und dreckige Hände im Haar und am Hals. Ringsum blinkten im Schein des Flämmchens trübe Augen auf. Die
Mienen waren stumpf, die Menschen schienen ihre Körper wie eine behindernde Hülle hinter sich herzuziehen. Das Leben in ihnen
wirkte verkrüppelt wie eine todkranke Pflanze.
David hielt das Feuerzeug umklammert. Seine Augen waren auf Florian gerichtet, sein stechender Blick hielt ihn fest.
Flo packte seinen Arm. »Lass uns von hier verschwinden, David.«
Jeglicher Spott, jede Ironie war aus Davids Zügen gewichen. »Du willst nicht enden wie sie?«
Flo starrte ihn an. Wieder griffen Hände nach ihm, ölige Finger legten sich um seine Kehle.
Da schrie David ihn an. »Sag es, Florian.«
Flo zitterte. Er fühlte, dass seine Beine ihn nicht mehr lange tragen würden.
Wieder schrie David ihn an.
» Sag es
!«
Die Wucht, mit der David ihn anbrüllte, brachte Flos Herz zum Rasen. »Ja«, flüsterte er.
»Ja –
was? «
, donnerte David.
»Ja, ich will nicht enden wie sie.«
»Dein Wille ist stärker als ihrer?«
»Ja.« Flos Stimme war kaum zu vernehmen.
Davids Gesicht leuchtete auf. »Na also. So schwer ist das doch gar nicht!«
Flo nickte. Mühsam. Wie im freien Fall.
»Und mein Wille ist stärker als deiner«, fauchte David, wechselte das Feuerzeug von der rechten in die linke Hand und hielt
es dort mit Daumen und Zeigefinger fest. »Siehst du das hier?« Er hielt die linke Hand hoch, spreizte drei Finger ab.
Flo nickte. »Ja.«
»Gut!« Und damit ergriff David mit seiner rechten Hand den Mittelfinger seiner Linken. Für einen Augenblick öffnete sich sein
Mund, als wolle er noch etwas sagen.
Irritiert sah Flo ihn an.
Da bog David mit aller Kraft den Mittelfinger, den er gegriffen hatte, nach hinten zum Handrücken. Mit hohlem Geschnatter
ließen die Gestalten von ihnen ab und wichen zurück – wie eine Schnecke, die in ihr Haus zurückquillt, wenn man sie am Fühler
berührt. Für einen Moment war nur ihr Geraschel zu hören.
»Kannst du das?« Davids Stimme spitzte sich zu, schien sich tief aus seinem Leib herauszuwinden und in der fetten Luft der
nachtschwarzen Höhle zu verfangen.
Weiter und weiter bog er seinen Finger nach hinten. Wie durch einen Strudel darauf zugespült, starrte Flo auf Davids Hand.
Da knackte es, und der Finger, den David mit seiner Rechten umklammerte, knickte ruckartig nach hinten ab. Für einen Sekundenbruchteil
schien der Anblick von Davids verstümmelter Hand wie eingefroren – dann begann sein Körper an dieser Stelle zu einem blutigen
Brei auseinanderzufließen.
Entsetzt zuckte Flos Blick in Davids Gesicht. Der Schmerz schien es in die Länge zu ziehen.
David schnappte nach Luft – und wendete seine linke Hand, sodass Flo den Handrücken sehen konnte. Unnatürlich senkrecht ragte
der Mittelfinger davon ab.
Davids Stimme war heiser jetzt, schlingerte wie eine alte Kassette. »Sind wir immer noch gleich? Was meinst du?«
Und dann riss er kurzentschlossen den Finger einfach ab, der nur noch mit Haut und Sehnen an seiner Hand gehangen hatte. Blut,
Fleischpartikel und Gewebereste spritzten in die Luft und benetzten Flos Gesicht wie ein feiner Regen –
ein Gesicht, das jetzt schrie, schrie, schrie -
- und auch dann noch schrie, als Florian schlagartig spürte, dass er erwachte. Schweißgebadet und verzweifelt registrierte
er, dass sich der Schrei noch immer seiner Kehle entwand – bis er sich gewaltsam zusammenriss und seine Lippen aufeinanderpresste,
um ihn endlich zu kappen.
Stille.
Der Schweiß, der ihn bedeckte, war eisig.
Die Kälte der Winternacht war tief in seinen Körper
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