Davina
sie trank ihn schweigend, während er aß. Ansagen kamen über Lautsprecher. Flüge nach Warschau, Krakau, Bukarest wurden aufgerufen. Harrington aß seine Apfeltorte und schob den Teller von sich.
»Der Kuchen war ausgezeichnet«, sagte er. »Ich freue mich auf diesen Urlaub, Gertrude. Aber du darfst mich nicht zu viel essen lassen.«
Sie riß sich zusammen und sagte rasch: »Nein, natürlich nicht. Du willst doch nicht wieder zunehmen. Ich muß auch aufpassen.«
»Das russische Essen ist angeblich sehr fetthaltig.« Er beugte sich zu ihr. »Ich freue mich auf den Strand und das Baden. Und eine Weile nicht arbeiten zu müssen.«
»Wir sind zwei Glückspilze«, meinte sie. »Ein Urlaub wie dieser macht dich bestimmt wieder fit für den Winter. Wann ist unser Abflug?«
»Bald«, antwortete er. »Er wird bald aufgerufen werden.«
»Verzeihung.« Der neben ihm sitzende Mann faltete seine Zeitung zusammen und stand auf. Harrington verließ seinen Platz, um den anderen vorbeigehen zu lassen.
Der Mann drängte sich an ihm vorbei. Harrington setzte sich wieder hin.
»Was für ein Rüpel«, sagte Davina. »Hast du gesehen, wie wütend er dich anstarrte, als wir vom Urlaub sprachen? Wann bekommen wir das Gepäck?«
»Es steht unter dem Tisch«, sagte er leise. »Er hat es für uns stehen lassen. Jetzt wird gerade unser Flug aufgerufen.«
Sie lauschte auf die metallische Stimme: »Aeroflot gibt den Flug Nr. 4.270 nach Moskau bekannt. Die Passagiere werden gebeten, sich unverzüglich zum Ausgang 5 zu begeben, nachdem sie ihr Gepäck eingecheckt haben.« Von Moskau aus würden sie dann mit einer Zubringermaschine nach Simferopol auf der Krim weiterfliegen.
Harrington griff unter den Tisch und zog einen Koffer und dann noch einen kleinen Handkoffer heraus. An den Handgriffen waren Namensschilder angebracht. Herr Heinz Fleischer, Frau Gertrude Fleischer.
»Du nimmst den kleinen«, sagte er. »Dies ist ein emanzipiertes Land. Frauen tragen ihr Gepäck selbst.«
Sie gingen die Rolltreppe hinunter und dann weiter durch das geräumige Erdgeschoß mit den Flugscheinschaltern und der Gepäckabfertigung.
Harrington verlangsamte den Schritt, als sie sich dem Aeroflot-Schalter näherten.
»Ich habe Angst«, flüsterte Davina ihm zu.
»Mach dir keine Sorgen, wir kommen schon ins Flugzeug. Das geht alles in Ordnung. Bleib dicht bei mir und halte den Mund.«
Es war ein langer Weg bis zum Ausgang 5. Sie mußte sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten, und sie war außer Atem, als sie sich der Schlange von Passagieren anschlossen, die darauf warteten, in die Abflughalle eingelassen zu werden. Zwei uniformierte Beamte prüften Pässe und Visa; sie ließen sich Zeit, die Papiere sorgfältig zu lesen und mit den Pässen zu vergleichen. Der zweite Mann blickte jeden Reisenden mit kalten Augen scharf an. Davina spürte, wie ihre Knie zitterten; die Atemlosigkeit nahm zu. O Gott, sagte sie sich im stillen, sie werden merken, daß bei mir etwas nicht stimmt … wenn sie sehen, wie meine Hände zittern.
»Gertrude«, fuhr Harrington sie über die Schulter hinweg an, »halte Paß und Visum bereit. Komm, als nächste sind wir an der Reihe. Hier, gib mir die Papiere.«
Sie stand dicht hinter ihm und fragte sich, ob man ihr die Panikstimmung vom Gesicht ablesen konnte. Harrington war wie ein Felsen; brüsk mit ihr, unterwürfig zu den Beamten – eine Verhaltensweise, die bewunderungswürdig fein abgewogen war. Ein kleiner Bürokrat, stellvertretender Leiter einer Kfz-Zulassungsstelle in einem Vorort der Stadt. Er herrschte seine Frau an und kroch vor den Behörden. Sein Paß und das Visum wurden geprüft; Davina hatte den Eindruck, daß man sich bei ihnen mehr Zeit ließ als bei den anderen, die vor ihnen durch die Sperre gegangen waren.
Jetzt war sie an der Reihe. Sie mußte vortreten, und da war kein Peter Harrington mehr, hinter dem sie sich verstecken konnte. Der Beamte prüfte ihren Paß, blickte zu ihr auf, wandte sich dem Visum zu und dann wieder dem Paß.
»Frau Fleischer?«
»Ja«, sagte sie. Ihre Kehle war so trocken, daß ihre Stimme heiser klang. Der Beamte sagte sonst nichts; er blickte sie nur scharf an. Sie wußte nicht, daß die Beamten mit dieser Verhaltensweise die Bürger in einen dauernden Angstzustand versetzen wollten, auch wenn nichts Illegales vorlag. Paß und Visum wurden gestempelt und ihr zurückgegeben. Harrington übernahm sie sofort und steckte sie in seine Tasche.
»Los, komm«, sagte er
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