Davina
verbrachten das Endstadium ihres Lebens in einem Dämmerzustand, durch den sich die Schwestern wie Schatten bewegten. Es kam so selten vor, daß irgendein Verwandter erschien, ohne ans Totenbett gerufen worden zu sein, daß der Enkel einer der Patientinnen beim Pflegepersonal auf ein sehr freundliches Interesse stieß.
Er kam eines Nachmittags ganz unerwartet, um seine Großmutter, Mrs. Burns, zu besuchen. Die alte Dame hatte seit drei Jahren keinen Besuch mehr gehabt. Sie lag aufgestützt in ihren Kissen, murmelte wirr vor sich hin oder schlief. Sie mußte wie ein Kind gefüttert werden und besaß, wie die anderen, keine Kontrolle mehr über ihre Körperfunktionen. Auf der Station herrschte stets ein schlechter Gestank, der sich aus Desinfektionsmitteln und dem Körpergeruch der Patienten zusammensetzte, die durch die Poren ihrer Haut ihren Abfall herausschwitzten. Er war ein netter, junger Mann, der die Hand seiner Großmutter hielt und anscheinend nichts dagegen hatte, als sie ihm die Hand entzog und murmelte, sie kenne ihn gar nicht.
Verwandte waren häufig über die aggressive Haltung der Heiminsassen oder das Nichterkennen bekümmert und stellten die Besuche in dem Pflegeheim schnell ein. Die Stationsschwester äußerte sich anerkennend über die freundliche Einstellung des Enkels, und er unterhielt sich immer wieder mit ihr und trank mit ihr eine Tasse Kaffee in ihrem kleinen Abteil am Ende des Raumes. Er kam dreimal in der Woche, brachte Blumen mit, die neben das Bett der alten Frau gestellt wurden, und einmal brachte er den Schwestern eine Schachtel Pralinen mit.
»Sie leisten eine so wunderbare Arbeit«, sagte er. »Was würde aus diesen armen Alten werden, wenn es Sie nicht gäbe?«
Die Stationsschwester begann, sich auf seine Besuche zu freuen. Eine der jungen Schwestern warf ihm sehnsüchtige Blicke zu.
»Ich finde es eine Schande, wie manche Familien ihre alten Verwandten vernachlässigen«, sagte er. »Ich war wirklich entsetzt, als ich hörte, daß sich Oma hier befindet und daß meine Mutter sie seit zwei Jahren nicht besucht hat. So behandeln wir unsere alten Menschen in Irland nicht.« Die Stationsschwester, die aus Limerick stammte, pflichtete ihm bei. Ihr täten diese armen Wesen so leid. Man brächte sie hierher und überließe sie sich selbst. Und wenn sie dann gestorben waren, kamen die Familienmitglieder vorbei, wischten sich die Augen und taten so, als seien sie tief traurig. Ob er vielleicht eine Tasse Kaffee wolle? Er dürfe nicht glauben, daß sich Mrs. Burns nicht über seine Besuche freue, nur weil sie so wirr im Kopf sei und ihn nicht wieder kenne. Sie scheine richtig etwas aufzuleben, seit er sie besuchte.
»Nur darauf kommt es an«, sagte er. »Jetzt hat sie wenigstens das Gefühl, nicht ganz vergessen zu sein.«
Am Ende der dritten Woche lud er die junge Schwester nach Dienstschluss auf einen Drink ein. Es dauerte fast einen Monat, bis er erfuhr, daß es in dem Pflegeheim eine Abteilung gab, die für gewalttätige Patienten reserviert war. Das normale Pflegepersonal durfte sich diesem Teil nicht nähern.
»Ich bekomme manchmal eine Gänsehaut«, vertraute sie ihm an, als sie in der ›Crown‹ von Haywards Heath bei einem Glas Bier saßen. »Im rückwärtigen Teil gibt es diese hohe Mauer, und das Tor ist immer verschlossen. Es gibt Sonderpersonal, das sich um die Patienten dort drüben kümmert. Es kommt mit uns nie zusammen.«
Mrs. Burns' Enkel gab sich erstaunt … Wie viele Menschen denn dort eingesperrt seien, fragte er. Sie wisse es nicht genau, aber man munkele, höchstens einer oder zwei. Eine Frau gehe dort ein und aus, aber ob sie eine Privatschwester oder eine Verwandte sei, wisse niemand.
»Wie schrecklich«, sagte er. »Wenn ich nicht Katholik wäre, könnte mich so etwas zum Verfechter der Euthanasie machen.« Er bestellte für beide noch ein Bier.
Sie wollte sich nicht über die Bestimmungen hinwegsetzen und ihm zeigen, wo der Flügel für die gewalttätigen Personen lag. Es ergab sich rein zufällig, als sie an einem sonnigen Nachmittag in den gepflegten Gartenanlagen spazierengingen. Die Patienten saßen in kleinen Gruppen im Freien, einige wanderten umher. Die Sonne schien, und es war wunderschön warm. Im Garten blühten unzählige Osterglocken und Traubenhyazinthen. Mrs. Burns' Enkel lächelte im Vorbeigehen allen zu und schob sanft seinen Arm unter den Ellbogen der Schwester.
»Ist das der Ort, wo die armen Teufel hinter Schloß und Riegel gehalten
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