Davina
Meinung nach tun?«
»Ich weiß es noch nicht«, antwortete Grant, »auf keinen Fall übereilte Entschlüsse fassen.«
»Wir müssen das Mädchen herausholen«, sagte Elizabeth. Er blickte zu ihr auf und schien ihre Heftigkeit zu missbilligen.
»Das liegt ganz beim Chef. Seien Sie morgen um neun wieder hier. Er wird sicher mit Ihnen sprechen wollen.«
»In Ordnung«, sagte sie. »Ich komme wieder und erkläre ihm alles.« Sie gähnte, und Grant merkte, wie müde sie aussah. »Ich lasse ein Taxi kommen und setze Sie bei Ihrem Hotel ab«, erklärte er.
Sie ließ sich ihr Erstaunen anmerken. »Oh, das ist aber nett von Ihnen. Vielen Dank.«
Sie saßen schweigend nebeneinander, bis das in der Victoria Street herbeigerufene Taxi in die Cromwell Road einbog, wo man in einem kleinen Hotel ein Zimmer für sie bestellt hatte.
»Sie haben gute Arbeit geleistet«, sagte er plötzlich. »Wir dürfen das Netz, daß Sie aufgebaut haben, nicht aufs Spiel setzen.«
»Nein«, sagte sie. »Heißt das, Sie wollen mich morgen unterstützen?«
»Ich kann nichts versprechen«, antwortete er. Sie stieg aus, zog ihre kleine Reisetasche hinter sich her, sagte: »Vielen Dank für die Fahrt«, schloß die Tür. Grant gab dem Fahrer seine Privatadresse in Chelsea an, und das Taxi fuhr weiter.
Seine Dienstwohnung war klein und unpersönlich. Es gab keine Bilder, nur wenige persönliche Sachen, die dazu dienen sollten, dem Mann, der seit fast fünf Jahren dort wohnte, ein bescheidenes Maß an Behaglichkeit zu bieten. Er schaltete im Fernseher die letzte Nachrichtensendung ein und setzte sich mit einem Glas Bier vor das Gerät.
Er verspürte keinen Hunger, und er aß sowieso nur, wenn ihm danach zumute war. Gesendet wurde ein Interview mit einem bekannten, linksgerichteten Parlamentsabgeordneten, der sich allen Ernstes über die Ungerechtigkeit der kapitalistischen Gesellschaft ausließ. Grant kannte die Schlagworte auswendig; er hatte dieselben Argumentationen schon während seiner Universitätszeit gehört – denselben Appell an den Idealismus, der schon so viele Menschen mit echtem Gerechtigkeitsgefühl in ein politisches System der Tyrannei auf breiter Ebene hineingezogen hatte. Er dachte an die Frau von Iwan Sasonow, die ins Dunkel verschleppt worden war und deren Andenken zu einem immer schwächeren Schrei wurde – wie ein kleines Licht, das in einem Tunnel eintaucht, bis es dort schließlich verlöscht. Für sie gab es keine Gerechtigkeit, ebenso wenig wie für Millionen ihresgleichen. Die Sowjetmacht war auf Toten aufgebaut worden. Blut und Tränen hielten die Maschinerie in Gang.
Er beugte sich vor und stellte ärgerlich das Gerät ab. Elizabeth Cole war eine gute Agentin. Sie bliebt immer sachlich und übertrieb nie. »Wir müssen das Mädchen herausholen.« Aber das war nicht so einfach. Es würde einige Zeit dauern, um alle Maßnahmen zu treffen, deren man sich auch schon früher bedient hatte. Und vielleicht hatten sie gar nicht mehr soviel Zeit. Jedenfalls nicht, wenn die Mutter noch immer in der Lubjanka verhört wurde. »Eingehend« war der intern gebräuchliche, euphemistische Ausdruck für gräßliche Schmerzen und Drogen, die jede Vernunft ausschalteten. Sie würden eine Antwort auf diese Frage erst dann haben, wenn ihr Mann in der Botschaft eine Information von der Kontaktperson im Gefängnis erhalten hatte. Und auch das ließ sich nicht beschleunigen.
Durch die geheimdienstliche Tätigkeit hatte Humphrey Grant übermenschliche Geduld und die ausgeprägte Fähigkeit gelernt, notfalls auch Risiken einzugehen. Er wußte, daß die ›Betreuerin‹ des sowjetischen Überläufers am Morgen ins Büro kommen und dringend um ein Gespräch nachsuchen würde. Er hatte nach dem Massaker von Halldale Manor seine eigenen Nachforschungen über sie angestellt. Dabei waren einige interessante Tatsachen ans Licht gekommen.
Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, ihr diese Tatsachen morgen vorzuhalten, falls sie Schwierigkeiten machte. Er wusch sein Glas aus und trocknete es ab. Die Küche war aufgeräumt, und das Tablett für sein Frühstück mit Kaffee und Cornflakes stand bereit.
Er begab sich in sein spartanisch eingerichtetes Schlafzimmer, zog sich aus und ging mit einem Buch zu Bett. Er las zur Entspannung Kriminalromane.
Davina Graham fuhr in einem Londoner Taxi von Shepherds Bush zur Dienststelle am St. James's Place. Es war ein Londoner Taxi, nur kreuzte es nie auf den Straßen und nahm nie gewöhnliche Passagiere
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