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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Generalfeldmarschall Kluge vom Juli 1943, dass es »nicht gerade sehr schön wäre, Gräben mit Tausenden von Juden angefüllt mit dem Maschinengewehr abzusägen und dann Erde auf die noch zuckenden Körper zu werfen«. 102 »Bei Freunden von mir«, hielt Goerdeler in einer anderen, vermutlich 1943 entstandenen Aufzeichnung fest, »erschienen Angehörige des Exekutionskommandos und erklärten, sie würden sich krank melden, sie könnten so etwas in Zukunft nicht mitmachen.« 103 Die Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises von Anfang 1943 sprach davon, »Hunderttausende Menschen sind lediglich wegen ihrer jüdischen Abstammung systematisch umgebracht worden«. 104
    Ulrich von Hassell, der dem Widerstand angehörende ehemalige deutsche Diplomat, notierte in seinen Tagebüchern mehrfach, dass die nach Polen deportierten und die dort lebenden Juden umgebracht würden. 105 Die Münchner Widerstandsgruppe Weiße Rose erwähnte in ihrem zweiten, im Frühjahr 1942 versandten Flugblatt »die Tatsache, dass seit der Eroberung Polens dreihunderttausend Juden in diesem Land auf bestialische Art ermordet worden sind«. Aus dem Text des Flugblatts wird außerdem deutlich, dass dessen Verfasser davon ausgehen, die Verbrechen des Regimes seien in der Bevölkerung allgemein bekannt. 106
    Schließlich verfügten auch die Kirchenleitungen über Informationen, die eindeutig darauf schließen ließen, dass die aus Deutschland deportierten Juden ermordet wurden. Der Breslauer Kardinal Bertram erhielt im Februar 1942 einen vertraulichen Bericht, der von der Leiterin des Hilfswerks beim Ordinariat Berlin, Margarete Sommer, stammte. Das Hilfswerk war 1938 eingerichtet worden, um Christen jüdischer Herkunft zu betreuen. Der – im Wesentlichen zutreffende – Bericht listet detailliert die Abgangs- und Zielorte von 50 000 aus dem Reich deportierten Juden auf. Aus dem Dokument geht hervor, dass im Berliner Hilfswerk systematisch alle erreichbaren Informationen über die Deportationen gesammelt wurden. Unter anderem wird hier der Bericht eines Litauers zitiert, der die Erschießung der nach Kowno deportierten deutschen Juden schilderte. 107
    Der Bischof von Osnabrück, Wilhelm Berning, dem diese Informationen ebenfalls zugänglich waren, machte sich folgende Notizen: »Von Litzmannstadt kommen seit Monaten keine Nachrichten. Alle Karten kommen zurück. Es scheint dort großes Elend zu sein. […] Die Menschen im elenden Zustand, große Sterblichkeit. – In Kowno sind Transporte von Berlin. Aber es wird bezweifelt, ob noch einer am Leben ist. – In Minsk und Riga keine bestimmten Nachrichten. Viele erschossen.« Und Berning zog aus diesen Angaben den Schluss: »Es besteht wohl der Plan, die Juden ganz auszurotten.« 108
    Die deutschen Bischöfe ließen schließlich am 12. September 1943 einen Hirtenbrief von den Kanzeln verlesen, in dem die Tötung von Menschen grundsätzlich verworfen wurde, »auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt würde«. Dieses Verbot gelte sowohl für die Tötung von »schuld- und wehrlosen Geistesschwachen und -kranken, an unheilbaren Siechen und tödlich Verletzten, an erblich Belasteten und lebensuntüchtigen Neugeborenen, an unschuldigen Geiseln und entwaffneten Kriegs- oder Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassen und Abstammung«. 109 Häufig wird dieses Schriftstück als Beleg für die mangelnde Entschlossenheit der katholischen Bischöfe zitiert, einen eindeutigen und wirkungsvollen Protest gegen den Judenmord, über den sie informiert waren, in die Welt zu setzen; stattdessen hätten sie sich nur dazu durchringen können, die Juden indirekt, sie nicht beim Namen nennend, in einer allgemeinen Erklärung gegen die Tötung menschlichen Lebens zu erwähnen. In unserem Zusammenhang ist dieser Hirtenbrief jedoch vor allem deshalb von Interesse, weil auf diesem Weg einem großen Teil der Bevölkerung – den aktiven Katholiken – deutlich genug signalisiert wurde, dass die umlaufenden Gerüchte über die massenhafte Ermordung von Juden nach Auffassung der Kirchenleitung einen realen Hintergrund hatten.
    Das Wissen über den Judenmord lässt sich auch bei führenden Persönlichkeiten der protestantischen Kirche nachweisen. 110 Hermann Diem, Pfarrer im württembergischen Ebersbach und aktiver Repräsentant der Bekennenden Kirche, ließ Ostern 1943 dem Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Hans Meiser, einen offenen und anonymen Brief überreichen, in dem er diesen

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