"Davon haben wir nichts gewusst!"
wurden. 37 Diese Berichte dienten der politischen Orientierung des Justizministers und wurden bis zum Ende des Krieges fortgesetzt, allerdings seit 1942 nur noch in Abständen von jeweils vier Monaten. Neben Berichten aus der Vorkriegszeit, die für eine Reihe von Regionen gut dokumentiert sind, 38 ist ein Großteil der Berichte für die Jahre 1940 bis 1944 erhalten. 39
Die Berichterstattung der Justiz insgesamt ist als Versuch zu sehen, die Zerstörung des Rechtsstaates durch die NSDAP und die schrittweise Entmachtung der Justiz zu dokumentieren. In Bezug auf die »Judenpolitik« des Regimes wurde besonderes intensiv registriert, inwieweit die Parteiorganisation versuchte, etwa durch Aufputschen der Stimmung oder durch »Aktionen« die gegen Juden gerichteten Verfolgungsmaßnahmen der Justizbehörden zu beeinflussen oder zu konterkarieren. Je nach politischer Einstellung der Behördenchefs fielen diese Berichte daher höchst unterschiedlich aus; der subjektive Faktor ist auch deswegen besonders hoch zu veranschlagen, weil die Justizberichte nicht wie die der anderen berichterstattenden Organisationen einen mehrstufigen Redaktionsprozess durchliefen. 40
SD-Berichte: 1937 begann der Sicherheitsdienst der SS (SD) mit einer systematischen Berichterstattung über die allgemeine Lage. Ab dem 15. Februar 1937 wurden Halbmonatsberichte – die ab Januar 1938 durch Monatsberichte ersetzt wurden – und Vierteljahresberichte erstellt. Die ersten Berichte waren jedoch nach Einschätzung der SD-Zentrale ungenügend. 41
Der Leiter der Zentralabteilung II 1 kritisierte im Juni 1937, die Oberabschnitte hätten »einzelne Fälle als symptomatisch für die gesamte Lage gedeutet, bisweilen sogar aus vermuteten Einzelfällen die Lage konstruiert«. 42 In einer weiteren Stellungnahme der Zentrale wurde zum einen kritisiert, die Lageberichte enthielten »vielfach allgemeine Behauptungen und Werturteile, persönliche Meinungen des Referenten, Verallgemeinerungen, Bezugnahmen, Fehlanzeigen, SD-interne Vorgänge, ungenaue Zeitangaben, Flüchtigkeit in der Bearbeitung, Versuch, Politik zu treiben, oder sie bestehen aus einer willkürlichen Aneinanderreihung von Einzelfällen, ohne dass dabei bemerkt wird, ob es sich um symptomatische oder Ausnahmefälle handelt, auch Mitteilungen aus Ministerialblättern und Fachzeitschriften über Dinge, die längst bekannt und überholt sind«. Hinzu kam aber ein weiterer Punkt: Die Berichte waren in ihrer Gesamttendenz zu negativ. »Da fernerhin die Oberabschnitte in der Hauptsache negative Dinge melden, insbesondere die Stimmung nur von dieser Seite her beurteilen, erhält die tatsächliche Lage eine falsche, zumindest aber schiefe Würdigung. Denn auf diese Weise wird lediglich die Wirkung gegnerischer Tätigkeit oder die negative Auswirkung von Maßnahmen des Staates oder der Partei dargestellt, nicht aber die tatsächliche Lage in ihrer Totalität, wozu unbedingt das positive Geschehen gehört.« 43
Ab Oktober 1938 erstellte die Zentrale dann aus den täglich bei ihr einlaufenden Meldungen der SD-Abschnitte und Oberabschnitte regelmäßig – meist im Abstand von zwei oder drei Tagen erscheinende – Berichte zur innenpolitischen Lage, die im Dezember 1939 in Meldungen aus dem Reich umbenannt wurden. Sie wurden im Juni 1943 auf Intervention Goebbels’ durch die auf einen erheblich kleineren Bezieherkreis zugeschnittenen SD-Berichte zur Inlandsfrage abgelöst; im Juli 1944 wurde die regelmäßige Berichterstattung des SD ganz eingestellt. 44
Wir verfügen über eine Reihe von Unterlagen, die Einblicke in die Arbeitsweise des SD erlauben. So hieß es in einer Arbeitsanweisung des SD-Leitabschnitts Stuttgart vom 12. Oktober 1940 an die V-Männer, jeder müsse »überall, in seiner Familie, seinem Freundes- und Bekanntenkreis und vor allem an seiner Arbeitsstätte jede Gelegenheit wahrnehmen, um durch Gespräche in unauffälliger Form die tatsächliche, stimmungsmäßige Auswirkung aller wichtigen außen- und innenpolitischen Vorgänge und Maßnahmen zu erfahren«. Darüber hinaus böten die »Unterhaltungen der Volksgenossen in den Zügen (Arbeiterzügen), Straßenbahnen, in Geschäften, bei Friseuren, an Zeitungsständen, auf behördlichen Dienststellen (Lebensmittel- und Bezugsscheinstellen, Arbeitsämtern, Rathäusern usw.), auf Wochenmärkten, in den Lokalen, in Betrieben und Kantinen aufschlussreiche Anhaltspunkte in reicher Fülle, die vielfach noch zu wenig beachtet werden«. 45 Der SD
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