"Davon haben wir nichts gewusst!"
unterhielt neben seinen etwa 3000 hauptamtlichen Mitarbeitern ein Netzwerk von circa 30 000 nebenamtlichen Informanten, die speziell auf die Beobachtung der »Volksmeinung« angesetzt waren. 46 Dabei wurde im Einzelnen – je nach Funktion und Einschätzung der Zuverlässigkeit – zwischen Zubringern, Agenten, V-Leuten, (nebenamtlichen) Mitarbeitern und Beobachtern unterschieden. 47 In so genannten SD-Arbeitskreisen wurden offensichtlich Richtlinien für die Berichterstattung ausgegeben und besprochen. 48
Das Berichtswesen der NSDAP: Am 21. Dezember 1934 gab der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, Richtlinien für die Erstellung monatlicher »Tätigkeits- und Stimmungsberichte« durch die Gauleiter heraus. 49 Im Oktober 1938 ordnete Heß die Erstellung von monatlichen »politischen Lageberichten der Hoheitsträger« an, für die er ein umfangreiches, verbindliches Gliederungsschema einführte. 50 Die Berichte, so Heß, sollten sich durch eine »ausführliche, ungeschminkte Schilderung der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung« auszeichnen.
Parteiberichte sind bis hinunter zur Ebene der Ortsgruppen nachweisbar. 51 Innerhalb der Kreisleitungen erstellten, entsprechend der Heß-Anordnung vom Oktober 1938, auch die jeweiligen Fachämter 52 ihre Reporte, die wiederum in das allgemeine Berichtswesen der Partei eingingen, aber auch als Grundlage für die eigenständigen Berichtssysteme der Gliederungen und Verbände beziehungsweise der jeweiligen Gau- und Reichsämter der Partei genutzt wurden. So gab es etwa ein umfangreiches Berichtswesen des Hauptamtes für Kommunalpolitik; auch Berichtssysteme der Hauptämter für Schulung, für Rassenpolitik und für Volksgesundheit lassen sich bis hinunter zur Kreisebene rekonstruieren. 53
In unserem Zusammenhang von besonderem Interesse ist das Berichtssystem der Reichspropagandaleitung. Den Goebbels-Tagebüchern ist zu entnehmen, dass der Propagandaminister den jeweils vierzehntägigen Berichten der insgesamt 42 Gaupropagandaämter (Stand 1941) größte Aufmerksamkeit widmete; er maß diesen Stimmungsberichten weitaus größere Bedeutung zu als beispielsweise den Übersichten des SD, und wir werden sehen, wie diese Lektüre Goebbels insbesondere während der Kriegszeit veranlasste, die Gestaltung der antisemitischen Propaganda zu ändern. Aber auch für diese Berichte gilt, dass sie von der Zentrale zurückgewiesen wurden, wenn ihre Tendenz zu negativ schien. So beschwerte sich das Propagandaministerium am 27. Februar 1943 in einem Rundschreiben bei den Gaupropagandaämtern, es seien in letzter Zeit verstärkt Berichte eingereicht worden, »in denen aus nichtigen Anlässen oder belanglosen Vorfällen auf die schlechte Stimmung gewisser Kreise geschlossen wurde. Diese keineswegs typischen Stimmungserscheinungen sollten besser im eigenen Bereich mit den Mitteln der Kampfzeit beseitigt werden, anstatt sie hierher zu berichten …« 54 Im Übrigen – und das ist durchaus charakterisch für die vielfach nur bruchstückhafte Überlieferung – scheint kein einziger dieser Berichte der Gaupropagandaleitungen erhalten zu sein; es finden sich lediglich einige Berichte von Kreispropagandaämtern. 55
Unter den der NSDAP angeschlossenen Verbänden war vor allem das Berichtswesen der DAF von Bedeutung. Die DAF unterhielt ein eigenes, mehrstufiges System, das bis hinunter zu den »Blockobmännern« der Organisation reichte und insbesondere die Situation in den Betrieben erfassen sollte. Geführt wurden diese Berichterstatter durch ein Amt »Information« im Zentralbüro der DAF, das in den Gauwaltungen der DAF mit eigenen Referaten vertreten war. Dieses Zentralbüro und seine Gau-Vertreter hielten engen Kontakt mit der Gestapo und dem SD, bis die gesamte Organisation Anfang 1938 dem Spitzelapparat des SD einverleibt wurde. 56
Die Partei-Kanzlei erstellte aus diesem Material »Auszüge aus den Berichten der Gauleitungen u.a. Dienststellen«; sie sind für das Jahr 1943 im Wochenrhythmus nachweisbar. 57 Die bei der Partei-Kanzlei gesammelten Berichte bildeten häufig die Grundlage für Interventionen bei staatlichen Stellen. Man wird davon ausgehen müssen, dass das gesamte Berichtswesen der NSDAP vor allem die Funktion hatte, Material zu sammeln, um den Machtanspruch der Partei gegenüber staatlichen Stellen zu untermauern. Gerade die Partei-Berichterstattung wird man vorwiegend als linientreu und schönfärberisch bezeichnen müssen. Die meist geringe Qualität stand jedoch in
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