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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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sowjetische Verbrechen angeprangert, ohne – wie im Fall Katyn – diese Untaten »den Juden« anzulasten. Die Besetzung des Baltikums, Rumäniens, Bulgariens, Finnlands und Ungarns durch die Rote Armee bot der Propaganda dafür ausreichend Material. 16 Der »Bolschewismus« galt nun immer stärker als »asiatisches« Phänomen, vergleichbar dem Ansturm der Hunnen, Awaren und Mongolen. Hitler selbst verfolgte das Motiv des »Einbruchs Innerasiens« in seinem Aufruf zur Erinnerung an die Parteigründungsfeier vom 24. Februar 1945, 17 und Ley bezeichnete den Bolschewismus im Angriff als den »Urtrieb der Steppe, der vernichtet, mordet, brennt und zerstört«. 18
    Die Westmächte tauchten in der Propaganda nicht mehr in erster Linie als durch die »jüdische Weltverschwörung« mit der Sowjetunion eng verbundene Partner auf, sondern als Erfüllungsgehilfen und »Steigbügelhalter« der Sowjets, als »Wegbereiter des Bolschewismus«, als »Moskaus Zutreiber«. Die angebliche Beherrschung Großbritanniens 19 und vor allem der USA 20 durch »die Juden« wurde als Konstante jedoch nicht aufgegeben, um die irrationale, die nationalen Interessen angeblich verratende Politik der westlichen Regierungen zu »erklären«. Das Schreckbild der drohenden jüdischen Weltdiktatur wurde ebenfalls weiter an die Wand gemalt, wenn auch weit weniger plakativ als bisher. 21

Die ungarischen Juden im Visier deutscher und alliierter Propaganda
    Wie bereits erwähnt, hatte Goebbels Ende April 1944 neben der Umstellung der antibolschewistischen Propaganda versucht, der antisemitischen Propaganda ein neues Themenfeld zu eröffnen, indem er das Augenmerk verstärkt auf die ungarischen Juden lenkte. Mitte April 1944 war mit der Ghettoisierung der ungarischen Juden begonnen worden, die Vorbereitungen für die Deportationen in das Vernichtungslager Auschwitz waren angelaufen. Am 27. April war an die deutsche Presse die Weisung ergangen, die »antijüdische Campagne« bleibe eines der »Grundthemen der deutschen Presse«. Dazu liege »zur Zeit aus Ungarn besonders gut verwertbares Material vor. Bei der Verwendung der Nachrichten über die dortigen Maßnahmen gegen die Juden ist darauf zu achten, dass sie nicht ohne ausführliche Darstellung der von Juden begangenen Verbrechen wiedergegeben werden, die Maßnahmen zur Folge hatten.« 22
    Die Presse widmete sich insbesondere im Mai 1944 dem Thema, 23 sprach die Deportationen jedoch nur indirekt an. 24 Die Zahl der antisemitischen Beiträge in der Presse nahm vorübergehend erheblich zu. 25 Nach dem Stopp der Verschleppungen durch die ungarische Regierung am 7. Juli 1944 verschwand das Thema wieder aus den Schlagzeilen; die antisemitische Kampagne, die Goebbels Ende April ausgerufen hatte, wurde insgesamt zurückgefahren. Ursache für diese neuerliche Zurückhaltung dürfte die Tatsache gewesen sein, dass die alliierte Propaganda ihrerseits die Deportationen aus Ungarn stark herausstellte und nun erstmals Details über den Massenmord berichtete, dabei konkrete (meist zu niedrig geschätzte) Opferzahlen nannte und die Existenz von Gaskammern in Auschwitz bekannt gab.
    Im April 1944 warf die amerikanische Luftwaffe beispielsweise ein Flugblatt über Deutschland ab, das folgende Erklärung Präsident Roosevelts »an das deutsche Volk« enthielt: »Wo immer die Nazis oder die Japaner ihre Terrorherrschaft aufgerichtet haben, haben sie unschuldige Polen, Tschechen, Norweger, Holländer, Dänen, Franzosen, Griechen, Russen, Chinesen in Hunger und Kälte zugrunde gehen lassen oder sie in Massen hingerichtet. […] Eines der furchtbarsten Verbrechen, die jemals die Geschichte verzeichnet hat, ist die massenweise systematische Abschlachtung der Juden in Europa. Die Nazis haben schon vor dem Kriege mit diesem Verbrechen begonnen, sie haben es während des Krieges verhundertfacht. Durch die Ereignisse der letzten Tage droht jetzt Hunderttausenden von Juden, die in Ungarn und im Balkan Zuflucht vor Hitlers Verfolgung gefunden haben, die Ausrottung. […] Alle, die an der Verschickung von Juden in den Tod nach Polen oder an der Verschickung von Norwegern und Franzosen in den Tod nach Deutschland mitwirken, sind im gleichen Maße schuldig wie die Henker der Verschickten.« 26
    Auch hier zeigt sich die aus der alliierten Propaganda seit Anfang 1943 geläufige Tendenz, die Verbrechen an den Juden möglichst in einem Atemzug mit anderen Verbrechen des NS-Regimes zu nennen. Roosevelts Erklärung wurde noch in zwei

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