"Davon haben wir nichts gewusst!"

weiteren Flugblättern verbreitet, einem amerikanischen sowie einem britischen. 27
    Die amerikanische Flugblattzeitung Sternenbanner brachte in ihrer Ausgabe vom 23. August 1944 einen Bericht über die Entdeckung des Vernichtungslagers Majdanek-Lublin. Wieder wird das Bemühen deutlich, die Rolle der Juden gegenüber anderen Opfergruppen keinesfalls als besonders herauszustreichen: »Der Zweck des Lagers war die systematische Ausrottung der dort eingelieferten Gefangenen: politischer Gegner des NS-Regimes, freiheitsliebender Bürger der von den Deutschen besetzten Länder, jüdischer Einwohner Deutschlands und der besetzten Länder, polnischer und russischer Bauern aus Gebieten, in denen Deutsche angesiedelt wurden. Die größte Zahl der Opfer von Majdanek waren Polen, Russen, Ukrainer und Juden.« Im Flugblatt wird erwähnt, dass die Tötung der Opfer mittels Gas erfolgte und dass man die Überreste von 600 000 Leichen gefunden habe. 28
    Auf britischer Seite war man sich auch jetzt darüber im Klaren, dass eine starke propagandistische Akzentuierung des Mordes an den Juden die Gefahr in sich barg, der deutschen Propaganda in die Hände zu arbeiten. Bereits 1943 hatte die britische Seite den Mechanismus der deutschen »Kraft durch Furcht«-Propaganda durchschaut und erkannt, dass die Furcht, eine militärische Niederlage werde unweigerlich den Untergang des deutschen Volkes nach sich ziehen, die stärkste Motivation der deutschen Soldaten darstellte. Man vermutete, dass die Zivilbevölkerung ähnlich darauf reagierte. 29
    Die britische Flugblattzeitung Luftpost vom 11. September 1944 ist ein gutes Beispiel dafür, wie die alliierte Seite die deutsche »Kraft durch Furcht«-Propaganda aufnahm und versuchte, deutsche Ängste vor einem Ende in Schrecken gegen die NS-Führung zu mobilisieren. Das Flugblatt ging unter anderem auf die »Massenvernichtung von Juden und politischen Häftlingen« in den soeben entdeckten Gaskammern des KZs Majdanek ein und kommentierte die Politik der NS-Führung wie folgt: »Weil diese Sorte Mensch, die keinen Anspruch mehr auf den Namen Mensch hat, ihre Herrschaft und ihr Leben noch um einige Wochen verlängern will, weil für sie der Friede das Ende und den Tod bedeuten, und weil sie darum den längst verlorenen Krieg immer weiter verlängert – darum sollen auch jetzt noch Tausende und Abertausende deutsche Soldaten ihr Leben opfern, sollen deutsche Städte und Dörfer in Schutt und Asche verwandelt werden, soll ganz Deutschland die Schrecken des totalen Krieges auf eigenem Boden erleben – des totalen Krieges, dessen einziger Sinn darin besteht, das Ende der Hitler, Himmler und der SS um ein paar Wochen hinauszuzögern.« 30
    Bis auf ein weiteres britisches Flugblatt, in dem die »Verfolgung und Ausrottung der Juden« im Kontext der deutschen Verbrechen in ganz Europa nur kurz erwähnt wird, 31 enthalten die amerikanischen und britischen Flugblätter des Jahres 1944 keine weiteren Hinweise auf die Ermordung der Juden. Trotz der zum Teil sehr drastischen und direkten Schilderung des Verbrechens wurde das Thema Judenmord auch in der Schlussphase des Krieges in der alliierten Flugblattpropaganda nicht als Priorität behandelt.
    In der alliierten Rundfunkpropaganda waren hingegen im Frühjahr 1944 verstärkt Beiträge über die Ermordung der Juden zu hören; es scheint aber, dass diese Kampagne im Sommer 1944 wieder auslief. So zeichnete der deutsche Abhördienst zum Beispiel am 11. Mai 1944 eine Londoner Rundfunksendung in deutscher Sprache auf, in der es unter anderem hieß: »Der Prozess des systematischen Massenmordes aller im Generalgouvernement konzentrierten Juden Europas begann 1 Jahr nach dem polnischen Feldzug, d.h. im Herbst 1940. In allen polnischen Städten wurden damals riesige Ghettos geschaffen […] Im Sommer 1942 begannen die von Hitler persönlich angeordneten, von besonderen Judenvernichtungskolonnen durchgeführten Massenmorde […]. So sind zwischen 2 und 3 Millionen europäischer Juden seit Ausbruch des Krieges dem wahnsinnigen Sadismus des Hitler-Regimes zum Opfer gefallen.« 32
    Am 15. Juni 1944 berichtete die BBC in einem Programm für deutsche Frauen detailliert über die Ermordung von tschechoslowakischen Juden in den Gaskammern von Birkenau. »Die deutschen Behörden in der Tschechoslowakei haben für den 20. Juni oder für die Zeit um den 20. Juni angeordnet, dass 3000 tschechoslowakische Juden in Gaskammern in Birkenau hingemordet werden sollen. Diese 3000