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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Kontrolle zum größten Teil durchgeführt und die Vernichtungslager der Aktion Reinhardt demontiert und zerstört waren – sogar die sterblichen Überreste der Leichen hatte man sorgfältig beseitigt -, erschien eine Kurzmeldung im Völkischen Beobachter , die auch dem normalen Leser einen Hinweis darauf gab, wie weit die »Lösung« der »Judenfrage« mittlerweile gediehen war:
    »Nach Schätzung in der jüdischen Presse Palästinas beträgt die Gesamtzahl der Juden 13,5 Millionen. Davon entfallen auf die USA 4,8 Millionen, auf England 425 000, auf Kanada 200 000, auf Südafrika 100 000, auf Australien 35 000, auf Argentinien 300 000 und auf alle anderen Staaten beider Amerika 300 000. Nach den USA beherbergt heute Palästina mit 550 000 Juden die meisten Hebräer. Diese Schätzungen beziehen sich selbstverständlich nur auf Religionsjuden. Von den Sowjetjuden soll sich die Hälfte jetzt östlich vom Ural befinden.« 124
    Ein Blick in den Großen Brockhaus genügte, um festzustellen, dass die Zahl der Juden Ende der zwanziger Jahre bereits auf 15 bis 16 Millionen geschätzt wurde; daraus ergab sich in jedem Fall eine ins Auge springende Differenz, zumal die im Brockhaus veröffentlichte Statistik für die USA von nur 3,6 Millionen (und nicht von 4,8 Millionen) Juden ausging. Auffallen musste einem gründlichen Leser aber vor allem die Tatsache, dass in der kurzen Meldung Palästina als das Land mit der zweithöchsten jüdischen Einwohnerzahl genannt wurde; denn dies bedeutete, dass die im Brockhaus nachgewiesenen Gemeinschaften von 3,5 Millionen polnischen, 2,75 Millionen sowjetischen, 834 000 rumänischen Juden sowie die 564 000 deutschen Juden (zu denen seit dem »Anschluss« theoretisch noch die 300 000 österreichischen Juden hinzuzurechnen gewesen wären) zumindest in diesen Größenordnungen nicht mehr existierten. 125

»Juda muss sterben«: Der Mord an den Juden und der Untergang des »Dritten Reiches«
    Wie in der zweiten Jahreshälfte 1943 spielte die »Judenfrage« zu Beginn des Jahres 1944 in der Propaganda nur eine untergeordnete Rolle. Da die deutsche »Judenpolitik« nun strikterer Geheimhaltung als etwa im Jahre 1942 unterlag, richtete sich die noch betriebene antijüdische Propaganda vor allem gegen die Feindmächte. 1944 stand zunächst die »Verjudung« der Westmächte, namentlich der USA, 1 im Zentrum dieser antisemitischen Propaganda. 2 »Juda«, so war im Völkischen Beobachter zu lesen, strebe eine »Diktatur über die Weltwirtschaft« an, um den Völkern »goldene Fesseln« anzulegen. 3 Die Presse wurde auch nicht müde, immer wieder auf die angeblich zentrale Rolle jüdischer Kreise beim »Verrat« Italiens sowie beim Wiederaufbau des politischen und wirtschaftlichen Lebens in den vom Faschismus befreiten Gebieten des Landes einzugehen. 4
    Seit Februar 1944 sah sich das Propagandaministerium veranlasst, die Presse wiederholt daran zu erinnern, sie möge die Rolle der Juden als Hintermänner der feindlichen Koalition deutlicher herausarbeiten und in diesem Zusammenhang wieder verstärkt auf die Sowjetunion eingehen. Die jüngste sowjetische Verfassungsänderung, 5 so teilte das Propagandaministerium am 3. Februar 1944 der Presse mit, sei »ein gigantisch aufgezogener jüdischer Trick. Die Tatsache, dass die Judenzeitungen in der ganzen Welt diese Entwicklung begrüßen, lässt deutlich erkennen, dass es sich hier um eine riesige Verschwörung des Judentums handelt, um eine jüdische Verschwörung internationalen Ausmaßes.« 6 Vier Tage später hieß es in der Tagesparole des Propagandaministeriums, die Presse solle dem »Zusammenspiel der britischen und sowjetischen Juden« mehr Beachtung schenken. »Sie sind eine einzige Verbrecherbande, die ausgerottet werden muss.« 7
    Die Tagesparole vom 2. März 1944 forderte von der Presse: »Die antisemitische Kampagne muss noch stärker als bisher als wichtigster propagandistischer Faktor im Weltkampf in den Vordergrund gestellt werden. Deshalb ist bei allen sich bietenden Gelegenheiten das hintergründige Treiben des Weltjudentum, das sich auch gegen die Interessen ihrer Wirtsvölker richtet, festzunageln. Darüber hinaus sind alle die Stimmen aufzugreifen, die die wahren jüdischen Vernichtungsabsichten erkennen lassen, und zum Gegenstand überzeugender Anprangerung machen. Hierbei muss sich der deutsche Journalist das Ziel setzen, einmal im deutschen Volk das Gefühl für die jüdische Weltgefahr wachzuhalten, darüber hinaus aber vor allem auch

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