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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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die Diskussion in das Ausland zu tragen.« 8
    Entsprechend dieser Vorgaben intensivierte die Presse im Februar und März, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß, ihre antisemitische Hetze; ab Mitte März ist bereits ein Rückgang zu beobachten. 9
    Nach der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen am 19. März 1944 wandte sich die deutsche Presse den antijüdischen Maßnahmen der neuen Regierung Sztójay zu und dem Ausmaß der bereits eingetretenen »Verjudung« des Landes. 10 Der Westdeutsche Beobachter ging sogar so weit, in einem Leitkommentar die Besetzung des Landes ganz in den Kontext der deutschen Judenpolitik zu stellen: »Selten ist die Notwendigkeit europäischer Zusammenarbeit gegen jüdisches Treiben so klar wie jetzt in Ungarn. Das Neuaufleben des Krieges mit falschen Nachrichten ist uns ein erneuter Beweis dafür, dass dieser Feind sich aufs empfindlichste getroffen fühlt.« 11

Umstellung der antijüdischen Propaganda seit Frühjahr 1944
    Gleichwohl sah Goebbels sich Ende April 1944 gezwungen, erneut eine Wende in der antisemitischen Propaganda einzuleiten. Anlass war ein Treffen des Propagandaministers mit Hitler am 26. April 1944, bei dem Goebbels zur Kenntnis nehmen musste, dass der »Führer« selbst die der Propaganda seit Jahren zugrunde liegende Parole vom »jüdischen Bolschewismus« und der »jüdischen Weltverschwörung«, die das feindliche Lager zusammenhalte, infrage stellte. Goebbels notierte über das Gespräch, Hitler sei nun der Auffassung, »dass Stalin sich durchaus nicht so der Sympathie des internationalen Judentums erfreut, wie das allgemein angenommen wird. Er geht ja auch in mancher Beziehung ziemlich rigoros gegen die Juden vor.« 12
    Diese Äußerung lief der bisherigen Ausrichtung diametral zuwider. Von nun an galt es, antibolschewistische und antisemitische Parolen zwar weiterhin parallel zu verfolgen, sie inhaltlich jedoch voneinander zu trennen. Eine neue antisowjetische Kampagne, so Goebbels’ Vorgabe, solle »Nahrung ziehen aus den Gräueltaten der Bolschewisten vor allem in den von ihnen besetzten rumänischen Gebieten«; damit verbunden werden solle eine »antijüdische Kampagne, die ihre Nahrung aus den Zuständen zieht, die das Judentum in Ungarn herbeigeführt hat«. Diese Doppel-Kampagne, die erstmals nicht von der bisher üblichen Gleichsetzung von »Judentum« und »Bolschewismus« ausging, solle »mit allen unseren Propagandamitteln durchgeführt« werden und sich »über mehrere Wochen erstrecken«. 13
    Und tatsächlich lässt sich zwischen Mai und Juli 1944 in der deutschen Propaganda eine Tendenzwende beobachten. Hatte man bis zu diesem Zeitpunkt großen Wert darauf gelegt, die Rolle »der Juden« als Hintermänner der feindlichen Koalition zu betonen, und davor gewarnt, das deutsche Volk könne einer Kombination aus jüdisch-bolschewistischen Gräueltaten und den Machenschaften des »Dollarimperialismus« zum Opfer fallen, wurde nun die Sowjetunion als der weitaus gefährlichere und den übrigen Alliierten überlegene Gegner dargestellt. Gleichzeitig trat das antisemitische Element in der antisowjetischen Propaganda zurück, während es im Hinblick auf die USA weiterhin stark zum Tragen kam. Deutschland, so die Hauptparole der Propaganda, führe vor allem einen Kampf gegen den Bolschewismus, dem die angloamerikanischen Juden – gegen die Interessen ihrer eigenen Länder – zuarbeiteten.
    Je bedrohlicher die militärische Situation wurde, desto mehr kam es der Propaganda darauf an, die Gegensätze innerhalb der eigentlich »widernatürlichen« feindlichen Koalition zu betonen und herauszustreichen, wie fragil diese sei. Also war es geradezu gefährlich, das »Weltjudentum« weiterhin als mächtigen, das feindliche Lager einigenden Machtfaktor darzustellen: Der von der Propaganda aufgebaute Popanz der »jüdischen Weltverschwörung« drohte angesichts der immer wahrscheinlicher werdenden eigenen Niederlage zur Falle zu werden.
    Hatte der Völkische Beobachter noch am 12. Mai in sensationeller Form berichtet, er habe zuverlässige Informationen darüber, dass das »Zentrum des Weltjudentums« von den USA nach Moskau verlagert werde, 14 so erschienen nun immer häufiger größere Artikel in der Presse, die sich mit den Weltherrschaftsplänen des »Bolschewismus« befassten, ohne dabei, wie sonst obligatorisch, plakativ auf die vermeintliche Schlüsselrolle »der Juden« in der kommunistischen Bewegung zu verweisen. 15 Außerdem wurden nun immer häufiger

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