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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Spekulationen über »jüdische Hintermänner«. 15 Anders gestaltete sich die Situation während des Prozesses gegen Frankfurter im Dezember 1936: In der Berichterstattung der meisten nichtnationalsozialistischen Zeitungen findet sich jetzt das Schlagwort von den jüdischen »Hintermännern« beziehungsweise Auftraggebern, 16 nachdem das Propagandaministerium die Presse wiederholt dazu aufgefordert hatte. 17
    Im Falle der LaGuardia-Rede übernahm die Frankfurter Zeitung eine Meldung des Deutschen Nachrichtenbüros, das den New Yorker Oberbürgermeister eine »Spitzenleistung auf dem Gebiet verlogenster Hetze« attestierte und ihn als »jüdischen Maulheld« bezeichnete; auf einen Kommentar aus der eigenen Redaktion verzichtete die Zeitung. 18 Die Deutsche Allgemeine Zeitung kommentierte die Rede als »dumme Anpöbelei«, 19 die Münchner Neuesten Nachrichten witterten »Völkerverhetzung« und eine »Gipfelleistung internationaler Brunnenvergiftung«, 20 während der Berliner Lokalanzeiger in seinem Leitkommentar LaGuardia als »Schmutzian« verunglimpfte, der sich durch »geifernde Niedertracht« auszeichne. 21

Reaktionen der Bevölkerung
    Diese vergleichsweise Zurückhaltung in der antisemitischen Ausrichtung der deutschen Öffentlichkeit spiegelt sich in den Stimmungsberichten: In den Jahren 1936/37 spielte die »Judenfrage« dort nur eine untergeordnete Rolle. 22 Dies sagt wenig über das tatsächliche Interesse der Bevölkerung an dieser Thematik aus, aber einiges über die Berichterstattung. Da die Berichte nicht, wie schon betont, eine autonom vor sich gehende Meinungsbildung erfassen, sondern primär Reaktionen auf bestimmte Ereignisse und auf Maßnahmen des Regimes registrieren sollten, war der Zeitraum 1936/37 in dieser Hinsicht unergiebig. Die »Judenpolitik« kam zumindest in der Propaganda und in der von den Nationalsozialisten hergestellten Öffentlichkeit nur am Rande vor. Mehr noch: Das Thema sollte ganz in den Hintergrund treten; entscheidende neue Maßnahmen in der »Judenpolitik« waren nicht zu verzeichnen. Entsprechend erscheint die Bevölkerung in diesem Zeitraum besonders »indifferent« gegenüber der »Judenfrage«. Für die Berichterstatter kam erschwerend hinzu, dass die Menschen sich in der heiklen »Judenfrage« mit öffentlichen Äußerungen immer stärker zurückhielten. 23
    Ein Thema, das in den Jahren 1936/37 jedoch durchgängig auftaucht, ist der trotz aller Anstrengungen der Parteiorgane anhaltende Kundenbesuch in jüdischen Geschäften beziehungsweise die fortdauernde Geschäftstätigkeit mit jüdischen Händlern auf dem Lande. 24 Immer wieder wurde betont, dass dieses Verhalten auf mangelnde Unterrichtung breiter Bevölkerungskreise über die »Judenpolitik« des Regimes zurückzuführen sei, ja dass diese der »Judenfrage« »gleichgültig« gegenüberstünden und ihr keinerlei Verständnis entgegenbrächten. 25
    Da das Regime angesichts des Olympiajahrs 1936 nicht massiv gegen das Einkaufen bei jüdischen Händlern einschreiten wollte, kann es nicht verwundern, wenn zum Beispiel die Stapostelle Frankfurt/Oder bereits im Februar 1936 berichtete, die »aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten […] gebotene Zurückhaltung in der Durchführung der Judengesetzgebung« habe sich »außerordentlich lähmend« auf die Parteiarbeit ausgewirkt. 26
    Der Landrat von Diepholz meldete, der Kampf gegen die Juden finde in der Bevölkerung zwar »mehr und mehr Verständnis«, dieser sei aber »um so wirksamer, je weniger Einzelaktionen erfolgen«. In diesen Formulierungen zeigt sich ein typisches Muster der Berichterstattung: Die staatlichen Stellen waren vor allem dann bereit, die Aufnahme der Verfolgungsmaßnahmen in der Bevölkerung positiv zu beurteilen, wenn die schwer kontrollierbaren und ungesetzlichen Aktionen der Partei zurückgefahren wurden. 27
    Gelegentlich, jedoch mit zunehmender Tendenz, berichteten Behörden und Parteidienststellen auch, dass weniger in jüdischen Geschäften gekauft werde und Handelsbeziehungen aufgegeben würden; aus den Berichten geht indes hervor, dass dieser Rückgang vor allem auf die Maßnahmen zur »Arisierung« und den Ausschluss der Juden aus den verschiedenen Gewerbezweigen, nicht auf eine erfolgreiche »Umerziehung« der Käufer zurückzuführen war. 28
    Die Exil-SPD berichtete im Juli 1937 aus Württemberg: »Der Antisemitismus, den die Nazis besonders auf dem Land mit aller Gewalt schüren, hat die Bauern längst nicht so erfasst, wie seine

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