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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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ausrotten.« Es sei daher »durchaus verständlich, dass nun aus dem deutschen Volke heraus immer wieder an die maßgeblichen Reichsdienststellen Fragen gerichtet werden, wie lange diesem Treiben der Juden noch zugesehen werden soll. Es ist auch notwendig, dass gerade im jetzigen Augenblick der Teil der Bevölkerung, der als kleiner Rest die Judenfrage immer noch nicht verstanden hat, über diese Zusammenhänge aufgeklärt wird.« 47
    Der Wochenspruch der Reichspropagandaleitung der NSDAP vom 7. September 1941, ein Plakat, das in zahlreichen Schaukästen der Partei ausgehängt wurde, enthielt als Zitat Hitlers berüchtigte Prophezeiung vom 30. Januar 1939, wonach das Ergebnis eines erneuten Weltkrieges »nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein« werde, »sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa«. 48
    Im Laufe des Monats September publizierte das Propagandaministerium in großer Auflage ein Anti-Kaufman-Pamphlet, in dem Kaufmans Schrift in Zusammenhang mit der Atlantik-Charta vom 14. August 1941 gebracht und Kaufman als »einer der geistigen Urheber des Zusammentreffens zwischen Roosevelt und Churchill« bezeichnet wurde. 49 Gleichzeitig mit seiner antijüdischen Kampagne nahm der deutsche Propagandaapparat seine Polemik gegen Roosevelt wieder auf, der ein Handlanger jüdischer und freimaurerischer Kreise sei. 50
    Wie zuvor spielte auch in dieser Kampagne die Presse eine zentrale Rolle. 51 Die sowjetische Entscheidung zur Deportation der Wolgadeutschen, 52 die unmittelbar vor dem Inkrafttreten der Kennzeichnungsverordnung bekannt wurde, lieferte ihr dafür einen ausgezeichneten Ausgangspunkt, wie auf der Pressekonferenz vom 9. September 53 ausgeführt wurde: Die Deportation der Wolgadeutschen sei ein Schachzug in »Stalins Mordplan«, die »völlige Ausrottung« dieser Minderheit zu betreiben. 54 Der Völkische Beobachter demonstrierte in seinem Kommentar vom 12. September, wie sich ein Zusammenhang zwischen diesem Thema und der »jüdischen Weltverschwörung« herstellen ließ: »Wieder einmal erweist sich an diesem Beispiel die innige Wesensgemeinschaft von Plutokratie und Bolschewismus in dem gemeinsamen Vernichtungswillen gegen das Deutschtum, das ja Roosevelts Vertrauter, der Jude Kaufman, am liebsten mittels Sterilisierung völlig vernichtet sehen möchte.«
    Am 13. September informierte das Blatt seine Leser über das Inkrafttreten der Kennzeichnungsverordnung wenige Tage später und brachte sie in seinem Kommentar direkt mit dem Krieg im Osten in Verbindung: »Der deutsche Soldat hat im Ostfeldzug den Juden in seiner ganzen Widerwärtigkeit und Grausamkeit kennengelernt. […] Dieses Erlebnis lässt den deutschen Soldaten und das deutsche Volk in seiner Gesamtheit fordern, dass dem Juden in der Heimat die Möglichkeit genommen wird, sich zu tarnen und damit jene Bestimmungen zu durchbrechen, die dem deutschen Volksgenossen die Berührung mit dem Juden ersparen.« 55 Auch die übrige Presse setzte ihre Leser, wie vom Propagandaministerium angeordnet, 56 ausführlich über die Einführung des Gelben Sterns in Kenntnis, veröffentlichte teilweise Fotos von bereits gekennzeichneten Juden und lieferte Begründungen für die neue Maßnahme. 57
    Schließlich ließ das Propagandaministerium ein Flugblatt drucken, das mit den Lebensmittelkarten an sämtliche deutschen Haushalte verteilt wurde. Auf der Vorderseite prangte ein Judenstern mit folgender Mahnung: »Wenn du dieses Zeichen siehst […] Dann denke daran, was der Jude unserem Volke angetan hat.« Unter erneutem Hinweis auf die Broschüre des als »Sprecher des Weltjudentums« bezeichneten Kaufman schließt das Pamphlet mit der Aufforderung: »Dass das Judentum niemals wieder auch nur den geringsten Einfluss in unserem Volke erhält, dafür musst Du durch Deine Haltung dem Juden gegenüber sorgen. Erkenne den wahren Feind!« 58
    Der Propagandaapparat gab sich also erhebliche Mühe, die Kennzeichnungspflicht zum 19. September 1941 zu begründen und vorzubereiten; nach dem Inkrafttreten der Verordnung herrschte indes weitgehend Schweigen. Über die Auswirkung der Kennzeichnung und die Aufnahme in der Bevölkerung ließ die Propaganda kaum etwas verlauten. Insbesondere auf Fotos der Gekennzeichneten wurde offenbar verzichtet. Warum, wird noch zu erörtern sein.
    Die Kennzeichnung der deutschen Juden im September 1941, so viel lässt sich schon festhalten, diente auch dazu, die nationalsozialistisch gelenkte

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