Dawning Sun (German Edition)
Josh! Wir wollen dir helfen. Ich meine, ich hab Leon angerufen, mit dem du bis jetzt doch quasi verheiratet warst. Er hat aufgelegt, als er meine Stimme hörte und ist danach nicht mehr ans Telefon gegangen.“ Er packte Josh hart am Arm und zog ihn näher zu sich heran. „Was ist los? Wenn dieser Thomas dir weh tut und du ihn nicht anzeigen willst, schlage ich ihn zusammen!“
Josh atmete viel zu hastig. Er wusste, der Zorn in Saschas Augen und Stimme war nicht gegen ihn gerichtet, trotzdem schlotterte er vor Panik.
„Lass Tom in Ruhe!“, brachte er endlich atemlos hervor. „Er hilft mir, er hat mich gefunden, als …“
„Als was? Was?“ Sascha bedrängte ihn, bis Josh in Tränen ausbrach und wild um sich schlug, als Sascha versuchte, ihn zu umarmen.
„Wir sind deine Familie“, wiederholte er hilflos, sobald Josh ruhiger wurde.
„Schöne Familie! Mein Vater will mich zum Psychiater bringen, damit ich Heilung von meiner verwirrten sexuellen Orientierung finde. Meine Mutter glaubt, ich will mich umbringen, mein Bruder hält mich für eine Hure und schnüffelt mir nach! Wenn das Familie ist, will ich lieber gar keine haben!“
Sascha wurde bleich bei diesen Worten. Lange Zeit starrten sie sich schweigend an, dann schließlich senkte Sascha den Blick.
„Es ist spät. Vielleicht sollten wir morgen Abend weiterreden“, murmelte er, stand auf und verließ leise das Zimmer.
Josh fand keinen Schlaf mehr. Er starrte an die Decke, unfähig zu denken, zu fühlen, zu weinen. Alles war so schrecklich falsch …
11.
Zum ersten Mal überhaupt beneidete Josh die Gymnasiasten, die ihr Abitur bereits in der 12. Klasse ablegen durften. An seiner Gesamtschule galt diese Regelung noch nicht, sonst wäre er schon fertig und müsste sich nicht mit all diesen Idioten herumschlagen. Es hatte ihn zwanzig Minuten gekostet, sich zu überwinden, das Schulgebäude zu betreten. Weitere zehn Minuten, die er mit Durchfall und Magenkrämpfen auf der Toilette zugebracht hatte. Er hatte Angst und wusste nicht einmal genau, wovor. Es schien so lächerlich, sich vor den Jungs zu fürchten, mit denen er jahrelang zur Schule gegangen war. Und doch war es so.
Tom beachtete ihn auch heute mit keinem einzigen Blick. Leon floh, sobald Josh versehentlich näher als zehn Schritte herankam. Nico musterte ihn unablässig, rührte allerdings keinen Finger, um den anderen beim Mobbing zu helfen.
Es waren Kleinigkeiten. Beim Austeilen von Kopien wurde er übergangen. Sein Taschenrechner verschwand mysteriös, um zerstört wieder aufzutauchen. Ein Kakaobecher fiel um und tränkte sein Mathebuch. Ein Rempler auf der Treppe hier, Gekicher und dumme Sprüche da. Eine Tür, die vor seiner Nase zugeschlagen wurde. Alles bloß nebensächliche Ärgernisse, wie sie immer mal vorkommen konnten. In der Masse wandelten sie sich zu quälenden Nadelstichen. Am Ende der fünften Stunde war Josh nervlich fast am Boden. Er hatte jetzt zwei Stunden Sport vor sich, beziehungsweise ein schwieriges Gespräch mit seinem Lehrer, denn Josh konnte unmöglich mitmachen. Zum einen hatte er nach wie vor zu starke Schmerzen, zum anderen würde er in kurzer Sportbekleidung offenbaren, was er so sorgfältig unter seiner Jeans und dem Rollkragenpullover verborgen hielt.
Herr Grothe war leider nicht nur sein Schulsportlehrer, sondern auch der Trainer der Handballmannschaft. Auf Joshs ich bin erkältet, Training muss diese Woche ebenfalls ausfallen reagierte er wie erwartet wenig begeistert – am Sonntag stand ein weiteres Spiel an.
„Wir reden nachher“, teilte er Josh knapp mit und winkte ihn dann zur Bank hinüber, wo er sich zwei Stunden langweilen durfte. Es gab Sportlehrer, die Oberstufenschüler gehen ließen, sofern diese ein ärztliches Attest vorweisen konnten. Herr Grothe ließ in dem Punkt nicht mit sich diskutieren, darum hatte Josh sich den Gang zum Arzt direkt gespart. Es hätte vermutlich den Klatsch in der Nachbarschaft weiter eingeheizt, denn wer wusste schon, welche Gründe der kleine Joshua Winkels hatte, einen Arzt aufsuchen zu müssen?
„Hast du Angst, uns deine hübschen Beine zu zeigen?“, säuselte Gian-Luca. „Keine Sorge, wir sagen es bestimmt keinem. Benutzt du Heißwachs?“
Josh brauchte zehn Sekunden, um zu begreifen, worauf das anspielte. Er hatte ja nicht einmal bemerkt, dass sich Gian-Luca an ihn herangepirscht hatte. Verbissen schüttelte er den Kopf, wissend, dass ein flotter Spruch besser gewesen wäre. Irgendwas, um zu beweisen,
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