Days of Blood and Starlight
uns für den Moment lieber versuchen, Thiago zufriedenzustellen.«
Und tatsächlich war der Weiße Wolf sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.
»Gut gemacht«, meinte er, als sie ihm die fünf neuen Soldaten präsentierten. Seine Maske war wieder an Ort und Stelle, und beim Abendessen spielte er perfekt den zuvorkommenden Gastgeber und goss ihnen sogar Wein ein – Wein? Das war ein seltener Luxus, und Karou hatte ihn nicht besorgt – und hob sein Glas auf die fünf neuen Wiedergänger. »Auf das Überleben«, rief er aus, und Karou fragte sich: Wessen Überleben?
Sie vergaß keine Sekunde, wofür er diese Soldaten, diese Waffen , die sie ihm an die Hand gegeben hatte, einsetzen würde, und der Gedanke machte sie krank, aber offener Ungehorsam würde sie nicht weiterbringen. Sie sah, wie die anderen ihn mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Angst anblickten, wie sie ständig darauf hofften, dass er sie bemerkte, und vor Freude strahlten, wenn er es tat. Und sie sah, wie er die Menge für sich gewann, wie er seinen Soldaten immer wieder das Gefühl gab, sie wären seine auserwählten Helfer, seine Stärke hier am Ende der Welt.
Karou beobachtete, wie er den Wein einschenkte, und als sie die bauchige Form der Flasche sah, verging ihr sofort der Appetit – das war kein chimärischer Graswein, so benannt nach seiner blassgrünen Farbe, sondern ein erlesener Seraphim-Wein, üppig und rot. Die Soldaten mussten ihn aus einer der Städte mitgebracht haben, die sie geplündert hatten.
In trübe Gedanken versunken, stocherte sie lustlos in ihrem Couscous herum, als Thiago hinter ihr erschien.
»Möchtest du keinen Wein?«, fragte er und setzte sich neben sie auf die Bank.
»Nein, danke.«
»Manche Leute glauben, es bringt Unglück, wenn man sich einem Trinkspruch nicht anschließt. Dass sein Segen dann an einem vorbeigeht.«
Spielte er auf seinen eigenen Toast an? »Heißt das, wenn ich deinen Wein nicht trinke, dann werde ich nicht überleben?«
Der Weiße Wolf zuckte die Achseln. »Ich bin nicht abergläubisch. Aber der Wein ist wirklich köstlich.« Er trank einen Schluck. »Dieser Tage gibt es nur so wenig, woran wir uns erfreuen können, und vorhin waren wir uns doch einig, dass heute ein guter Tag ist. Wir haben fünf neue Soldaten in unseren Rängen, Issa ist zurückgekehrt … wie durch ein Wunder …« Sie sahen beide zum Kopfende des Tisches hinüber, wo Issa mit Lisseth und Nisk zusammensaß, die beide ebenfalls zu den Naja gehörten – wenn auch zu Karous Neuinterpretation des Stammes. »Und du hast deine Freunde wieder.« Thiago machte eine Kopfbewegung in Richtung Zuzana und Mik.
Die beiden saßen in einem Kreis von Chimärensoldaten auf dem Boden, deuteten auf verschiedene Dinge und lernten neue Chimärenwörter – Salz, Ratte, essen –, deren unglückliche Kombination dazu führte, dass Zuzana das Fleisch auf ihrem Teller angeekelt zur Seite schob.
»Ich glaube, das ist Hühnchen«, meinte Mik und nahm einen kräftigen Bissen.
»Aber du musst zugeben, dass vorhin noch viel mehr Ratten unterwegs waren.«
»Ach, das ist bestimmt reiner Zufall.« Mik nahm noch einen Bissen und sagte in ganz ordentlichem Chimärisch: »Salzige, köstliche Ratte.« Was ihm einige Lacher einbrachte.
»Es ist Hühnchen«, beharrte eine der Sphingen. Karou war sich nicht sicher, ob es Bashees oder Tangris war, aber sie schlug mit den Flügeln wie ein Huhn und wedelte zum Beweis sogar mit ein paar abgenagten Hühnerknochen herum. Ein Lebender Schatten, der ein Huhn nachahmt , dachte Karou staunend. Das sieht man bestimmt nicht alle Tage.
Die Anwesenheit ihrer Freunde wirkte Wunder auf die Atmosphäre in der Kasbah, und Karou hatte ihre Gesellschaft heute mindestens genauso sehr genossen wie ihre Hilfe. Doch als sie jetzt mit Thiago an ihrer Seite zu ihnen hinübersah, wurde sie auf einmal von einem unguten Gefühl gepackt.
»Ja, ich habe meine Freunde.« Sie bemühte sich um einen lockeren Tonfall. »Aber sie sind nur zu Besuch hier. Sie werden uns leider schon bald wieder verlassen.«
»Ach ja? Das ist aber wirklich schade. Sie waren dir doch so eine große Hilfe. Bestimmt kannst du sie überreden, noch etwas länger zu bleiben.«
»Nein, ich denke nicht. Sie haben Verpflichtungen zu Hause.«
»Aber was könnte wichtiger sein, als dir zu helfen?« Mit einem Mal konnte Karou nur noch ihre Freunde sehen, alles andere fiel weg, und plötzlich wusste sie genau, worin Thiagos neues Spiel bestand. »Es wäre wirklich
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