Days of Blood and Starlight
Gesicht neutral zu halten, um zu beweisen, dass Akiva inzwischen nichts anderes mehr für sie war als ein feindlicher Seraph. Als sie ihre Erzählung beendet hatte, schwieg Issa einen Moment und runzelte nachdenklich die Stirn.
»Was?«, fragte Karou und hörte selbst, wie defensiv sie klang.
Issa legte sich ihre Worte so ruhig und präzise zurecht wie Karten auf einem Tisch. »Also ist Akiva Ziri hierher gefolgt.« Sie machte eine Pause. »Befürchtest du, er könnte den Seraphim verraten, dass ihr hier seid?«
Die Frage traf Karou völlig unvorbereitet.
Die ganze Zeit hatte sie sich nur Sorgen darum gemacht, wie sie Akivas Besuch vor den Chimären geheim halten konnte, und nie, ob Akiva das Geheimnis der Chimären verraten würde. Was hatte das zu bedeuten? Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihm nie vertraut hatte, und das war eine Lüge, die er allzu leicht geglaubt hatte, doch jetzt? Wie sollte sie ihm jetzt noch vertrauen?
Aber wenn sie es nicht täte, hätte sie dann nicht längst Thiago aufgesucht und ihn gedrängt, so bald wie möglich von hier zu verschwinden? Das war ihr nie auch nur in den Sinn gekommen.
Weil es nicht Akiva war, vor dem sie sich fürchtete. »Ganz gleich, was geschieht«, hatte er zu ihr gesagt, kurz bevor sie den Wunschknochen zerbrochen hatten, »du musst dich immer daran erinnern, dass ich dich liebe.« Sie hatte es ihm versprochen, atemlos, außerstande, sich eine Realität vorzustellen, in der sie sich je nicht daran würde erinnern wollen. Und sie hatte ihr Versprechen gegen ihren Willen gehalten. Sie wollte es vergessen, aber diese Gewissheit ließ sich einfach nicht verdrängen: Akiva liebte sie. Er würde sie nicht verletzen. Das wusste sie.
»Er wird mich nicht verraten«, flüsterte sie leise, und es fühlte sich an wie ein weiteres beschämendes Geständnis.
Issa nickte feierlich und traurig, sah Karou tief in die Augen, und auf einmal fühlte Karou sich vor ihr wie ein aufgeschlagenes Tagebuch. Alle ihre Geheimnisse standen hier zu lesen, alle ihre Fehler, und ihr verräterisches Herz blutete auf das Papier. »Also gut«, sagte die Schlangenfrau schlicht. Sie vertraute auf Karous Vertrauen, und damit war die Sache für sie erledigt.
Sie wandte sich dem Tisch und den Zahngefäßen zu. »Vielleicht sollten wir mit der Arbeit anfangen, damit Thiago nicht zu dem Schluss kommt, wir können nichts als quatschen«, schlug sie in angestrengt munterem Ton vor.
Karou wusste, dass es noch viel mehr zu sagen gab. Zum Beispiel über die Botschaft. Da war eine Lücke in Issas Erzählung, und das, was sie ausgelassen hatte, machte ihr offensichtlich immer noch schwer zu schaffen. Karou hatte Issa noch nie so gesehen. Sie wird es mir sagen, wenn sie bereit ist , dachte sie und versuchte sich einzureden, dass sie nur deshalb nicht weiter nachfragte, weil sie auf die Schlangenfrau Rücksicht nehmen wollte. Dabei wusste sie genau, dass es ihre eigene Angst war, die sie davon abhielt.
Das neue Spiel
Karou hatte Thiago die Wahrheit gesagt: Mit Issas und Zuzanas Hilfe kam sie wirklich viel schneller mit der Arbeit voran. Ihren geschickten Händen konnte sie guten Gewissens alle nichtmagischen Aufgaben überlassen und sich selbst voll und ganz auf die Wiedererweckung konzentrieren. Als Ziri dann auch noch darauf beharrte, den Schmerztribut für sie zu bezahlen, um ihr für seine Heilung zu danken, hatte sie das Gefühl, als hätte sie kaum noch etwas zu tun. Ihr Zimmer war zu voll. Es war stickig, Ziris Flügel nahmen eine Menge Platz weg, und Issas Schwanz schien immer genau da zu sein, wo Karou die Füße hinsetzen wollte, aber trotzdem fühlte sie sich … glücklich. Nicht Monty-Python-glücklich, sondern wirklich glücklich. Und welche Aufgabe delegierte sie am allerliebsten? Der Schmerztribut belegte einen knappen zweiten Platz hinter der Mathematik.
»Ich bin gut in Mathe«, hatte Mik eingeworfen, als er sie über das Flügel-Masse-Verhältnis grübeln hörte. »Kann ich helfen?«
Sobald sich herausstellte, dass er das tatsächlich konnte, fiel Karou vor ihm auf die Knie. »O Götter der Mathematik und Physik«, intonierte sie. »Ich danke euch, dass ihr mir diesen schlauen, goldgelockten Jungen geschickt habt.«
»Mann« , widersprach Mik gekränkt. »Guck hier: Koteletten. Und Brusthaare. Ein paar.«
» Mann , natürlich«, korrigierte sich Karou, und nahm erneut ihre Pseudo-Gebetshaltung ein. »Ich danke Euch, dass ihr mir diesen Mann …« Plötzlich hielt sie inne und
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