Days of Blood and Starlight
hatten sie getan?
Geh runter und finde es heraus , drängte eine Stimme in ihrem Hinterkopf, aber sie ignorierte sie. Ganz gleich, was im Ascheregen der blutverkrusteten Welt des Krieges vor sich ging, in die ihre Kreationen zogen, um Gewalt zu säen, es war nicht ihre Angelegenheit. Sie erschuf die Körper, das war alles.
Was konnte sie denn sonst tun?
Schwerer Schaden
Der Weiße Wolf stand an seinem Fenster direkt unter Karous Zimmer. Kaum hatte Ziri aufgeblickt, um nach ihr Ausschau zu halten, da sah er aus dem Augenwinkel etwas Weißes aufblitzen und senkte schnell den Kopf. Es reichte kaum, um den Ausdruck zaghafter Hoffnung auf ihrem Gesicht zu erkennen, als sie die Hand hob. Zögerlich. Einsam.
Und dann ließ er sie abblitzen.
Der Wolf hatte ihm jeden Kontakt zu Karou strengstens untersagt. Eigentlich hatte er es ihnen allen verboten, aber Ziri hatte seine blassblauen Augen auf sich gespürt, als er den Befehl ausgab, und er wusste genau, dass Thiago ihn am schärfsten beobachtete. Tat er das, weil Ziri ein Kirin war? Dachte der Wolf, dass diese Tatsache sie automatisch miteinander verband? Oder erinnerte er sich an Ziri als Kind? Beim Maskenball des Kriegsherrn?
Bei der Hinrichtung?
Ziri hatte sie zu retten versucht. Es hätte fast lustig sein können, wenn es nicht so erbärmlich gewesen wäre – wie er unter den Turniertribünen gekauert und all seinen Mut zusammengenommen hatte, seine stumpfen Trainingsschwerter fest umklammert, als könnte er sie damit befreien. Die Tribünen waren auf der Agora errichtet worden, damit das Volk von Loramendi ihr besser beim Sterben zusehen konnte – es war ein Spektakel. Madrigal, so ruhig und würdevoll, so wunderschön, hatte die stampfende Masse erscheinen lassen wie eine Horde wilder Tiere, und Ziri, ein dünner Junge von gerade einmal zwölf Jahren, hatte gedacht, er könnte aufs Schafott stürmen und … was dann? Ihre Fesseln zerschneiden? Die Stadt selbst war ein Käfig; selbst wenn er es geschafft hätte, sie zu befreien, gab es keinen Ort, an den sie hätte fliehen können.
Letztendlich hatte es überhaupt keine Rolle gespielt. Ein vor dem Schafott stationierter Soldat hatte ihn mit seinem Schwertknauf bewusstlos geschlagen, bevor seine Füße auch nur die erste Stufe berührt hatten. Madrigal hatte seine närrische Heldentat nicht einmal bemerkt. Sie hatte nur Augen für ihren Geliebten.
Das alles schien unendlich lange her. Damals hatte er nicht verstanden, worin ihr Verrat bestand oder welche Konsequenzen er haben könnte. Welche Konsequenzen er haben würde . Aber heute war er kein liebeskranker kleiner Junge mehr, und Karou bedeutete ihm nichts.
Warum also schweifte sein Blick immer wieder hoch zu ihrem Fenster? Zu ihr , wenn sie ihr Zimmer doch einmal verließ.
War es Mitleid? Ein flüchtiger Blick genügte, um zu sehen, wie allein sie war. Die ersten Tage in Eretz war sie bleich, zittrig und stumm gewesen – offensichtlich stand sie unter Schock. Da war es für ihn noch schwerer gewesen, nicht zu ihr zu gehen oder sie wenigstens kurz anzusprechen. Sie hatte es sicher gesehen – wie sich beim Anblick ihres Kummers, ihrer Einsamkeit, irgendetwas in ihm regte – und jetzt erschien immer, wenn sie ihn sah, dieser Ausdruck zaghafter Hoffnung auf ihrem Gesicht. Als könnte er vielleicht ein Freund sein.
Aber er wandte sich von ihr ab. Der Weiße Wolf hatte sich unmissverständlich ausgedrückt: Die Rebellen brauchten Karou, aber sie durften nicht den Fehler begehen, ihr zu vertrauen. Sie war eine Verräterin, man musste sie unter strenger Aufsicht halten – und so etwas konnte nur Thiago persönlich, niemand sonst.
In diesem Moment trat der Wolf auf den Hof, um seine Patrouille zu begrüßen.
»Willkommen zurück«, sagte er und schritt hocherhobenen Hauptes auf sie zu wie der Herr im Haus. Eher der Herr in den Ruinen … Aber auch wenn dieses Lehmschloss für den gefeierten Weißen Wolf einen Abstieg bedeutete, nahm er es in Besitz, wie er alles in Besitz nahm: als würde es ihm ganz selbstverständlich zustehen, damit zu tun, was er wollte, bis er etwas Neues, etwas Besseres fand. Er prahlte gerne damit, dass er irgendwann auf dem Thron von Astrae sitzen und sich Seraphim als Sklaven halten würde, und so lächerlich diese Behauptung unter den Umständen auch schien – Ziri wusste, dass man den Wolf nicht unterschätzen durfte.
Thiago war mit Leib und Seele Soldat. Seine Truppen verehrten ihn und waren bereit, alles für ihn zu tun.
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