Days of Blood and Starlight
Er hat uns befohlen, uns von dir fernzuhalten, aber das erschien mir von Anfang an falsch.«
Das musste Karou erst einmal verarbeiten. »Du meinst … Thiago hat euch allen befohlen, nicht mit mir zu reden?«
Ziri nickte, angespannt und niedergeschlagen.
»Hat er euch gesagt, warum?«
»Thiago meinte, wir könnten dir nicht vertrauen«, antwortete er leise. »Aber ich vertraue dir! Karou …«
»Das hat er gesagt?« Sie fühlte sich, als hätte man sie geohrfeigt. Und entsetzlich dumm. »Mir hat er gesagt, er würde mit euch reden, damit ihr mir bald genauso vertraut wie er.«
Ziri sagte nichts, aber die Botschaft war klar. Thiago hatte sie die ganze Zeit über angelogen, und eigentlich war das auch wirklich nicht überraschend. »Was hat er noch gesagt?«, wollte sie wissen.
»Er hat uns oft an deinen … Verrat erinnert«, antwortete Ziri leise. Geduckt kauerte er auf dem Bett und sah sie hilflos an. »Dass du unser Geheimnis an die Seraphim verkauft hast.«
Sie blinzelte. »Unser Geheimnis verkauft?« Was? Das schiere Ausmaß von Thiagos Lüge überraschte sie nun doch. » Das hat er gesagt?«
Ziri nickte, und Karou konnte es nicht fassen. Der Weiße Wolf hatte den Chimären erzählt, dass sie ihre Geheimnisse an die Seraphim verkauft hatte? Kein Wunder, dass sie hinter ihrem Rücken »Verräterin« fauchten. »Ich hab den Seraphim nichts verraten«, versicherte sie Ziri, und da wurde ihr plötzlich etwas klar: Sie hatte nichts verkauft, und sie hatte auch nichts verraten. Sie war so mit ihrer vermeintlichen Schande beschäftigt gewesen, dass es ihr nicht mal in den Sinn gekommen war zu überprüfen, ob ihr schlechtes Gewissen überhaupt berechtigt war. Sie hatte den Feind geliebt, was sicherlich ein gravierendes Vergehen war, und sie hatte ihm das Leben gerettet, was noch gravierender war. Aber davon wussten die Chimären nichts, und … und außerdem war nicht sie es gewesen, die Akiva das tiefste Geheimnis der Chimären verraten hatte.
Sondern Thiago.
Der Weiße Wolf hielt sie mit Lügen vom Rest der Kompanie fern, damit er ihr die Schuld an seinem eigenen Fehler geben konnte. Damit er sie und ihre Magie kontrollieren konnte. Und war sein Plan nicht wunderbar aufgegangen? Sie hatte alles getan, worum er sie gebeten hatte.
Aber damit war Schluss. Karous Herz schlug schneller. Sie sah Ziri an. »Das ist nicht wahr«, sagte sie, und es kam als heiseres Flüstern heraus. »Ich habe … dem Engel nichts verraten.« Sie konnte seinen Namen nicht noch einmal aussprechen. »Ich habe ihm nichts von der Wiedererweckung gesagt. Das schwöre ich.« Sie wollte, dass er ihr glaubte. Wenigstens er sollte wissen, dass sie zwar vielleicht in gewisser Hinsicht eine Verräterin war, aber dass sie das wirklich nicht getan hatte. Und dann wurde ihr plötzlich klar, dass vielleicht auch Brimstone gedacht hatte, sie hätte sein Geheimnis verraten.
Der Gedanke machte sie ganz krank. Aber wenn er wirklich diesen Verdacht gehegt hatte, dann musste er es irgendwie geschafft haben, ihr zu vergeben. Er hatte ihr ein Leben geschenkt, Sicherheit und – auch wenn sie ihn erst hatte verlieren müssen, um das zu erkennen – Liebe. Es war eine unerträgliche Vorstellung, dass er in dem Glauben gestorben war, sie hätte sein Lebenswerk verraten … seine Magie … seinen Schmerz … Und noch viel unerträglicher war die Tatsache, dass sie nie die Gelegenheit haben würde, ihn von der Wahrheit zu überzeugen. Er war tot, und sie hatte die Endgültigkeit ihres Verlusts nie so deutlich gespürt wie in diesem Moment.
»Ich glaube dir«, sagte Ziri.
Das war immerhin etwas, aber nicht genug. Karou hielt sich die Hände auf den Bauch, denn ihr war speiübel. Zögernd streckte Ziri die Hand aus, zog sie aber gleich wieder zurück. »Es tut mir so leid«, sagte er bekümmert.
Sie nickte und beruhigte sich ein wenig. »Danke, dass du es mir gesagt hast.«
»Ich muss dir noch etwas …« In diesem Moment ging draußen ein lautes Schreien und Heulen los. Karous Herz setzte einen Schlag aus, als ihr plötzlich klar wurde, was vorhin am Rand ihres Bewusstseins gelauert hatte. Abwesenheit. Zuzanas und Miks Abwesenheit. Wo waren ihre Freunde?
Und wer hatte gerade so geschrien?
***
Draußen auf dem Hof hielt Zuzana sich die Ohren zu und biss die Zähne zusammen.
Mik war deutlich diplomatischer. »Genau«, sagte er und nickte dem Chimären namens Virko zu, der seiner Geige gerade ein fürchterliches Kreischen entlockt hatte. »So
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