Days of Blood and Starlight
sollten uns wenigstens ein Codewort ausdenken, mit dem wir rausfinden können, ob der andere ein Doppelgänger ist. Für den Fall, dass in den fünf Minuten, die ich zum Pinkeln brauche, ein Monster von mir Besitz ergreift.«
»Glaubst du, sie können Körper klauen? Und was mich viel mehr interessiert – du pinkelst fünf Minuten, und hast dich trotzdem geweigert, Kaz für mich anzupinkeln??«
»Dafür werde ich mich mein Leben lang entschuldigen müssen, oder? Aber jetzt mal im Ernst. Code-Wort.«
»Also schön. Wie wäre es mit … Doppelgänger ?«
Miks Gesicht blieb ausdruckslos. »Du meinst, unser Doppelgänger-Codewort sollte Doppelgänger sein?«
»Na ja, das kann man sich jedenfalls leicht merken.«
»Aber es geht doch darum, durchtrieben zu sein. Wenn ich den Verdacht habe, dass du nicht wirklich du bist, dann muss ich das doch rausfinden, ohne dass du weißt, dass ich es weiß. Wie in Filmen. Wir unterhalten uns, aber ich stehe mit dem Rücken zu dir, der Kamera zugewandt, und dann sage ich ganz beiläufig so was wie Kurzwarenhändler …«
» Kurzwarenhändler? Das ist unser Codewort?«
»Ja. Und du reagierst nicht darauf, und ich gucke ganz entsetzt und deprimiert …« – er demonstrierte es –, »… weil ich gerade rausgefunden hab, dass dein Körper von einer feindlichen Macht besessen ist. Aber sobald ich mich zu dir umdrehe, bin ich cool. Ich tue so, als wüsste ich von nichts, während ich heimlich schon einen Plan schmiede, wie ich am besten entkommen kann.«
»Entkommen?« Zuzana machte einen Schmollmund. »Du meinst, du würdest nicht versuchen, mich zu retten?«
»Machst du Witze?« Er zog sie in seine Arme. »Ich würde meinen Kopf in Monstermäuler stecken, um nachzuschauen, ob sie dich gefressen haben.«
»Ja, und hoffentlich haben mich die Monster einfach runtergeschluckt, ohne zu kauen. Wie in den Märchen.«
»Na klar. Und dann schlitze ich ihnen den Bauch auf, und schwupps, kommst du rausgesprungen. Aber den Monstern würde natürlich unser vorzüglicher Geschmack entgehen, wenn sie uns nicht kauen.« Er knabberte an ihrem Hals, und Zuzana quietschte und schob ihn weg. »Na dann komm, du mutiger Monstermäuler-Reinschauer, lass uns was essen gehen. Ich bin fast sicher, dass nicht wir auf der Speisekarte stehen.« Zuzana schnupperte in die Luft. »Wenn auch nur, weil sie schon angefangen haben zu kochen.« Als Mik erneut Protest einlegen wollte, hob sie die Hand und fragte: »Wovor hast du mehr Angst: vor Monstern oder vor mir mit niedrigem Blutzucker?«
Sein ernster Vorsicht-ist-besser-Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Ich weiß nicht.«
»Nimm deine Geige mit«, sagte Zuzana, und er tat es mit einem Schulterzucken. Zuzana legte eine Hand auf Karous Stirn, bevor sie gingen, und dann waren sie aus der Tür und liefen auf der Suche nach Essen die Treppen hinunter.
***
Karou schlief unruhig und gefährlich tief. Sie verlor den Faden, das Gefühl für ihre Tage und Nächte, ihrer beiden Leben als Chimäre und Mensch, und wanderte durch ihre Erinnerungen wie durch die Räume eines Museums. Sie träumte von Brimstones Laden und ihrer Kindheit dort, von Issa und Yasri und Twiga, von Skorpionmäusen und geflügelten Kröten und … von Brimstone. Und selbst im Schlaf fühlte sie sich, als würden sich ihre Schraubzwingen um ihr Herz zusammenziehen.
Sie träumte vom Schlachtfeld bei Bullfinch, von dichtem Nebel und vom ersten Mal, als sie Akiva gesehen hatte.
Von Ellais Tempel, von Liebe und Lust und von Hoffnung, von dem gigantischen Traum, der in jenen Wochen von ihnen Besitz ergriffen hatte, und von dem reinen Glück, das sie viel zu kurz gekannt hatte. Davon, wie zart der Wunschknochen sich angefühlt hatte, als sie und Akiva ihn zwischen sich gehalten hatten, und wie ihre Fingerknöchel sich berührt hatten, bevor er brach.
Und dann träumte Karou, sie würde in einer Gruft liegen und wie ein Wiedergänger – oder wie Julia – auf einem harten Steinaltar aufwachen. Überall um sie herum lagen bis zur Unkenntnis verbrannte Körper, und in ihrer Mitte stand Akiva. Seine Hände brannten, und seine Augen waren tiefe Abgründe. Über den Berg von Leichen hinweg starrte er sie an und sagte: »Hilf mir.«
Mit einem Ruck war Karou hellwach. Ein weiterer Tag war in eine weitere Nacht übergegangen, und sie spürte einen warmen Körper an ihrer Seite.
»Akiva«, keuchte sie. Er drang aus ihren Träumen hervor, dieser Name, der jedes Mal, wenn sie an ihn dachte,
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