de la Cruz, Melissa - The Immortals 1
»Augusta Carondolet ist gestorben.«
»Ich weiß.« Cordelias Miene änderte sich. Plötzlich zeigte sich ein Anflug von Gefühl in dem strengen Gesicht. Machte sie sich etwa Sorgen um ihre Enkeltochter?
»Kommst du damit klar?«
Skyler nickte. Sie hatte Angie ja kaum gekannt, obwohl sie über ein Jahrzehnt lang auf dieselbe Schule gegangen waren.
»Ich muss jetzt Hausaufgaben machen«, sagte Skyler, knöpfte ihren Mantel auf und legte ihn ab. Sie zog den Pullover aus und pellte sich Stück für Stück aus den darunterliegenden Kleidungsschichten, bis sie schließlich in einem weißen Trägertop und schwarzen Leggins vor ihrer Großmutter stand.
»Deine Male werden wieder schlimmer«, bemerkte Cordelia mit einem Blick auf Skylers Unterarme.
Skyler schaute auf das blaue Venenmuster, das vom Handgelenk bis zum Ellenbogen reichte. Es war kurz vor ihrem fünfzehnten Geburtstag aufgetaucht und juckte manchmal fürchterlich. »Für mich sehen sie aus wie immer«, antwortete Skyler.
»Denk an deinen Termin bei Dr. Pat.«
Skyler nickte.
Beauty machte es sich auf Skylers Bettdecke bequem und schaute durch das Fenster zum Fluss, der hinter den Bäumen hervorschimmerte.
Cordelia begann, das weiche Fell zu streicheln. »Ich hatte auch mal so einen Hund«, sagte sie. »Als ich ungefähr in deinem Alter war. Deine Mutter hatte ebenfalls einen.« Cordelia lächelte wehmütig.
Ihre Großmutter sprach so gut wie nie über Skylers Mutter, die ins Koma gefallen war, als Skyler erst ein Jahr alt war. Seitdem war sie in diesem Zustand gefangen. Die Ärzte maßen bei ihr ganz normale Gehirnaktivitäten und meinten, sie könnte jederzeit aufwachen. Aber das war nie geschehen. Jeden Sonntag besuchte Skyler sie im Krankenhaus und las ihr aus der Sunday Times vor. Ihre Mutter war für sie eine liebenswert und kummervoll aussehende Frau, deren hellblondes Haar auf dem Kissen ausgebreitet lag.
Skyler wollte ihrer Großmutter noch mehr Fragen über ihre Mutter und den Hund stellen, aber Cordelia wirkte schon wieder so abweisend wie eh und je.
»Abendessen um sechs«, sagte ihre Großmutter und verließ das Zimmer.
»Ja, Cordelia«, murmelte Skyler.
Sie schloss die Augen, ließ sich aufs Bett sinken und schmiegte sich an Beauty. Ihre Großmutter war ihr ein Rätsel. Skyler wünschte sich nicht zum ersten Mal, ein normales Mädchen mit einer normalen Familie zu sein. Plötzlich fühlte sie sich sehr einsam. Sie überlegte, ob sie Oliver von Jacks Nachricht erzählen sollte. Doch dann entschied sie sich dagegen. Vielleicht würde er sie bloß für blöd halten und die Sache als schlechten Scherz abtun.
Ihr Handy piepte zweimal hintereinander. Als wäre es Gedankenübertragung gewesen, erschien eine Textnachricht von Oliver.
Du fehlst mir, Sky.
Skyler lächelte. Sie hatte zwar keine richtige Familie, aber wenigstens einen echten Freund.
9
D ie Beerdigung von Augusta Carondolet war ein großes gesellschaftliches Ereignis. Die Carondolets zählten zu den angesehensten New Yorker Familien und Angies frühzeitiger Tod war ein gefundenes Fressen für die Boulevardblätter. Angies Eltern waren entsetzt über die vielen Klatschberichte, die seitdem in den Zeitungen erschienen, aber sie konnten nichts dagegen tun.
An diesem Morgen lauerte bereits ein Haufen Paparazzi vor dem Schultor, um einen Schnappschuss zu erhaschen von der schmerzerfüllten Mutter Sloane Carondolet und der trauernden Freundin, dem Glamour-Girl schlechthin: Mimi Force.
Als Mimi die Fotografen entdeckte, war sie froh, dass sie mit ihrem schwarzen Samtkostüm des Modemachers Hedi Slimane protzen konnte. Es war verflixt schwierig gewesen, es über Nacht anpassen zu lassen. Aber Mimi bekam eben immer, was sie wollte. In den Zeitungen würde sie fabelhaft aussehen.
Die Sitzordnung in der Kapelle richtete sich nach Rang und Bedeutung der Anwesenden – wie bei einer Modenschau. Natürlich hatte man Mimi einen Platz in der ersten Reihe zugeteilt. Sie saß neben ihrem Vater und ihrem Bruder. Sie waren ein gut aussehendes Trio. Ihre Mutter, die sich für die Öffentlichkeit auf einer Safari in Südafrika befand, dort jedoch nur ein paar Schönheitsoperationen und Hautstraffungen vornehmen ließ, hatte nicht mehr rechtzeitig zurückkommen können. Mimis Vater wurde daher von der schönen Kunsthändlerin Gina Alcorn, einer engen Freundin der Familie, zu der Beerdigung begleitet.
Mimi wusste, dass Gina eine der Geliebten ihres Vaters war, aber das störte sie nicht. Als sie
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