de la Cruz, Melissa - The Immortals 1
Jahrzehnten abgenommen. Als eine der letzten Immobilien war ihr der imposante Palast im französischen Stil am Riverside Drive geblieben, den Skyler ihr Zuhause nannte. Er war aus grauem Stein errichtet und hatte eine schmiedeeiserne Tür. Wasserspeier hielten auf Terrassenhöhe Wache.
Doch anders als die aufwendig sanierten Stadtvillen rundherum, brauchte der Palast dringend ein neues Dach und einen frischen Anstrich.
Skyler läutete an der Tür, die gleich darauf geöffnet wurde.
»Tut mir leid, Hattie, ich hab schon wieder meinen Schlüssel vergessen«, entschuldigte sie sich bei der Haushälterin, die zur Familie gehörte, solange Skyler denken konnte.
Die weißhaarige Polin in ihrer altmodischen Gouvernantentracht brummte nur.
Skyler folgte ihr durch die knarrende Flügeltür und ging auf Zehenspitzen das große Foyer entlang, das dunkel war und muffig roch. Der Perserteppich unter ihren Füßen war alt und ein wertvolles Stück, aber vollkommen ausgetreten.
In diesen Raum drang kein Tageslicht, weil vor den hohen Erkerfenstern, die auf den Hudson River hinausgingen, schwere Samtvorhänge hingen. Da es keine Klimaanlage gab, war das Haus im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt.
Ganz anders als im Penthouse der Lewellyns, wo alles entweder eine teure Reproduktion oder für viel Geld bei Christie’s ersteigert war, handelte es sich bei den Möbeln im Haus der van Alens ausschließlich um Originale, die von Generation zu Generation weitervererbt worden waren.
Die meisten Zimmer waren unbenutzt und verschlossen. Weiße Tücher verhüllten die Mehrzahl der teuren Erbstücke. Skyler hatte immer das Gefühl, in einem knarrenden, alten Museum zu leben.
Skyler pfiff nach ihrer Hündin Beauty, einem stattlichen, aber freundlichen Bluthund. »Feines, feines Mädchen.«
Sie kniete schnell nieder und umarmte die glückliche Hündin, die ihr das Gesicht leckte. Ganz gleich, wie schlecht der Tag war, Beauty machte ihn besser. Das Tier war ihr vor knapp einem Jahr nachgelaufen, als sie aus der Schule kam. Der Hund war reinrassig und hatte glänzend schwarzes Fell. Skyler war sich sicher gewesen, dass der Besitzer Beauty vermissen würde, und hatte Zettel mit ihrem Bild in der Nachbarschaft aufgehängt. Doch niemand war gekommen, um Beauty abzuholen, und nach einer Weile hatte Skyler aufgehört, den rechtmäßigen Besitzer zu suchen.
Die beiden liefen die Treppe hinauf. Ihr kleines Zimmer befand sich im ersten Stock. Sie hatte es strahlend gelb gestrichen, damit es sich deutlich von den düsteren Räumen im restlichen Haus abhob.
Skyler eilte hinein und schloss die Tür hinter sich und der Hündin.
»Schon zu Hause?«
Skyler fuhr vor Schreck zusammen. Beauty bellte und eilte dann schwanzwedelnd auf Skylers Großmutter zu, die mit ernster Miene auf dem Bett saß.
Cordelia van Alen war eine zerbrechliche kleine Frau. Wenn man sie sah, wusste man, woher Skyler ihre zierliche Figur und die tief liegenden Augen hatte. Doch Cordelia stritt ab, dass sie einander ähnlich waren. Ihre Augen waren groß und blau und ruhten gerade auf ihrer Enkeltochter.
»Mann, hast du mich erschreckt!«, entfuhr es Skyler.
Ihre Großmutter hatte ihr verboten, sie Grandma oder Oma zu nennen. Skyler hätte gern eine Oma gehabt, eine warmherzige, pausbäckige, fürsorgliche Frau, deren Name sich mit Liebe und selbst gebackenen Schokoladenkeksen verband. Stattdessen hatte sie nur Cordelia, die eine noch immer schöne und elegante Frau war. Skyler schätze sie auf achtzig oder neunzig. Das genaue Alter hatte Cordelia ihrer Enkelin stets verschwiegen.
Cordelia saß kerzengerade vor ihr. Bekleidet war sie mit einem schwarzen Kaschmirpullover und einer schwarzen Leinenhose. An den Füßen trug sie passende Slipper von Chanel.
Bisher war die alte Frau immer für sie da gewesen, auch wenn sie sich ihr gegenüber nie herzlich oder gar zärtlich verhalten hatte. Cordelia hatte sich stets um alles gekümmert. Sie hatte Skylers Geburtsurkunde ändern lassen, sodass sie nicht den Nachnamen ihres Vaters, sondern den ihrer Mutter trug. Cordelia hatte sie auf die Duchesne geschickt, schrieb Skylers Entschuldigungszettel, kontrollierte ihre Noten und zahlte ihr das mickrige Taschengeld aus.
Skyler mochte ihre Großmutter und fürchtete sich gleichzeitig vor ihr. Cordelia hingegen wirkte nicht so, als würde sie Skyler gernhaben, vielmehr schien sie ihre Enkelin bloß im selben Haus zu dulden.
»Wir hatten heute früher Schulschluss«, sagte Skyler.
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