de la Cruz, Melissa - The Immortals 1
Kerl.«
»Aber war …?« Skyler hatte ihren Vater nie kennengelernt. Sie wusste seinen Namen, Stephen Chase, und dass er Künstler gewesen war. Ihre Mutter hatte ihn bei der Eröffnung seiner Galerie zum ersten Mal gesehen. Das war aber schon alles, was Skyler über die beiden erfahren hatte. Sie wusste auch nichts über die Familie ihres Vaters.
»Ich hab’s dir doch schon mehrfach erzählt: Er starb kurz nach deiner Geburt«, sagte Cordelia.
Sie beugte sich nach vorne und strich Skyler übers Haar. Es war seit sehr langer Zeit das erste Mal, dass Cordelia Skyler gegenüber zärtlich war.
Skyler griff nach einem Erdbeertörtchen. Sie spürte, dass Cordelia ihr nicht die ganze Wahrheit sagte.
»Es ist eine schwere Zeit für uns, weißt du«, erklärte Cordelia, während sie ein Haselnusstörtchen vom Teller nahm. »Es hält sich kaum noch einer an den Kodex. In unseren Reihen gibt es Korruption und Aufruhr. Ein paar von uns missbrauchen ihre Macht und bringen sehr viel Unheil. Unsterblichkeit ist ein Segen und Fluch zugleich. Ich habe schon zu lange gelebt. Ich erinnere mich an zu vieles.«
Cordelia nahm einen großen Schluck aus ihrer Teetasse.
Als sie die Tasse wieder absetzte, wirkte sie um Jahre gealtert und sehr erschöpft. Skyler überkam Mitleid mit der alten Frau, ob sie nun ein Vampir war oder nicht.
»Was meinst du damit?«
»Es ist eine harte Zeit, in der wir leben, eine Zeit voller Gemeinheit und Verzweiflung. Wir müssen versuchen, unser Bestes zu geben, den rechten Weg zu wählen, sonst wird unser Einfluss gewiss immer mehr abnehmen und wir werden nichts Gutes mehr hervorbringen.«
»Aber viele von uns haben ’ne Menge Einfluss! Charles Force ist der reichste und mächtigste Mann in der Stadt – und der Vater von Bliss ist Senator. Sie sind doch beide Blue Bloods, oder?«, fragte Skyler.
»Charles Force«, sagte Cordelia grimmig, während sie Honig in ihren Tee gab. Sie knallte den Löffel mit solcher Wucht auf die Untertasse, dass es laut schepperte. Die anderen Gäste drehten sich nach ihnen um.
Cordelias Gesicht war verschlossen. »Charles Force verfolgt seine eigenen Pläne. Und was Senator Lewellyn angeht – ein politisches Amt zu bekleiden ist ein Verstoß gegen den Kodex. Wir mischen uns normalerweise nicht in die Politik der Menschen ein. Aber die Zeiten haben sich geändert. Sieh dir seine Frau an«, sagte Cordelia voller Verachtung. »An ihrem Geschmack und ihrer Verhaltensweise ist nichts Blaublütiges.«
Sie seufzte und nahm Skylers Hand in ihre. »Du bist ein gutes Mädchen. Ich habe dir schon zu viel erzählt. Vielleicht wirst du eines Tages die ganze Wahrheit erfahren. Aber noch nicht jetzt.«
Das war alles, was Cordelia dazu sagen würde.
Sie tranken schweigend ihren Tee aus. Skyler biss in ein Schokoladenéclair, legte es dann aber wieder auf ihren Teller zurück. Nach all dem, was die Großmutter ihr erzählt hatte, war ihr der Appetit vergangen.
23
S eit dem Komitee -Meeting und dem Gespräch mit ihrer Großmutter fühlte Skyler sich entwurzelt und haltlos. Cordelia hatte ihr einiges erklärt, aber auch sehr vieles offengelassen. Warum lag ihre Mutter im Koma? Was war mit ihrem Vater geschehen? Skyler fühlte sich verlassener denn je, da sie nun nicht einmal mehr mit ihrem Freund Oliver sprechen konnte. Sie hatten sich vorher noch nie gestritten, denn sie waren fast immer einer Meinung gewesen und hatten dieselben Dinge gemocht. Dazu gehörten 50 Cent, Science-Fiction-Filme und Schinken-Sandwichs mit Senf. Sie hassten auch genau dieselben Dinge: zum Beispiel Eminem, pompöse Festessen und selbstgerechte Vegetarier.
Doch jetzt, nachdem Skyler Jack aus der »Scheißtyp«- in die »Heißer-Kerl«-Schublade verfrachtet hatte, ohne dazu Olivers Erlaubnis einzuholen, zeigte er ihr die kalte Schulter.
Der Rest der Woche verlief ohne Zwischenfall. Cordelia war abgereist und verbrachte mal wieder eine Woche in einem Wellnesshotel. Oliver weigerte sich nach wie vor, Skyler überhaupt wahrzunehmen, und sie bekam keine Chance, noch einmal mit Jack zu reden. Aber momentan hatte sie so viel um die Ohren – eine Bioklausur, massenweise Hausaufgaben und einen Englischaufsatz –, dass sie keine Zeit hatte, Trübsal zu blasen.
Ihr Kiefer tat weh, wenn sie ihre Fangzähne aus- und einfuhr. Und sie war froh, noch nicht dieses furchtbare Hungergefühl zu haben. Sie hatte von ihrer Großmutter erfahren, dass der Osculum Sanctum , der Heilige Kuss, eine ganz besondere Zeremonie
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