Dead Beautiful - Deine Seele in mir
dann meinen Blutdruck maß. Als sie bemerkte, dass Dante immer noch da war, scheuchte sie ihn fort.
Dante wollte widersprechen. »Ich würde gerne dableiben, wenn’s geht.«
»Auf gar keinen Fall.« Gerade als sie Dante aus dem Zimmer schieben wollte, trat die Rektorin ein. Die Schwester beugte sich geschäftig über ein Rolltischchen, als sie auf uns zukam.
»Mr Berlin«, sagte sie und bemerkte dann mich auf der Liege. »Und Miss Winters. So schnell kann’s gehen.«
»Ich bin in den See gefallen«, sagte ich schwach.
»Salz hat sie gegessen, das ist es«, kam es ungeduldig von der Schwester, die gerade eine Spritze desinfizierte. »Und zum Glück hat er’s mir gesagt, sonst hätte ich viel länger gebraucht für die Diagnose und Rehydrierung.«
»Und Mr Berlin ist ihr nachgesprungen?«, fragte die Rektorin nachdenklich.
Niemand antwortete.
»Sehr ritterlich«, sagte sie zu Dante, »wenn auch schon etwas zu vertraut, finden Sie nicht? So sehr ich unsere regelmäßigen kleinen Zusammenkünfte nach all diesen Missgeschicken auch schätze, so erfreut wäre ich, wenn Sie sich irgendwann auch wieder auf Ihren Unterricht konzentrieren könnten.« Ihre Finger trommelten auf dem Tisch. Weder Dante noch ich reagierten. Und ohne ein weiteres Wort verließ die Rektorin das Zimmer.
Schwester Irmgard wandte sich wieder mir zu. »Nur ein kleiner Piks«, erklärte sie und legte mir eine Infusionsnadel in den Unterarm. »Das muss jetzt vierundzwanzigStunden so bleiben, bis sich Ihr Flüssigkeitshaushalt reguliert hat.«
»Okay«, wollte ich sagen, aber es kamen keine Worte heraus. Mein Mund war trocken und voller Schaum. Ich schaute sie noch einmal an und überließ mich dann dem Schlaf.
Ich erwachte nach Einbruch der Dunkelheit im flackernden Licht einer Leuchtstoffröhre. Die Krankenstation war der einzige Ort der Schule, an dem nach Sonnenuntergang noch künstliches Licht benutzt werden durfte. Irgendwann sah die Schwester ein letztes Mal nach mir und zog sich dann für die Nacht in ihr Büro zurück. Ich wartete ab, bis ich ihre Tür zuschnappen hörte und sah, wie die Lichter ausgingen. Dann zog ich mir die Nadel aus dem Arm und stand auf. Meine Kleider lagen in einem Haufen auf der Arbeitsplatte. Ich durchwühlte sie, bis ich meine Jacke mit Nathaniels Brille gefunden hatte.
In meinem Krankenhaushemd schlich ich den Flur entlang; meine nackten Füße klatschten sanft auf den Fliesenboden. Bei jedem Zimmer, an dem ich vorbeikam, lugte ich durch das Glas in der Tür, bis ich endlich Nathaniel gefunden hatte. Leise drückte ich die Tür auf.
Beim Eintreten schlug mir ein derart beißender Geruch entgegen, dass ich mich erst einmal an die Wand lehnen und sammeln musste. Die brennenden Haare bei der Séance hatten ähnlich gerochen, aber das hier war stärker und konzentrierter – der Gestank der Verwesung. Geschah das, wenn ein Untoter begraben wurde? Ich öffnete ein Fenster; ein Luftzug wehte herein und blähte mein Nachthemd auf.
Nathaniel lag im Bett. Die Umrisse seines zerbrechlichen Körpers zeichneten sich unter dem dünnen weißen Leintuch ab. Über ihm kreiste eine Fliege. Ich schlug sie fort. Nathaniels Gesicht hatte noch immer Schmutzränder und seine Augen waren geschlossen. Ohne die Brille wirkte er müde und alt – viel älter, als er eigentlich war. Die Haut seiner Wangen war erschlafft und unter seinen Augen hatte er violette Tränensäcke. Neben seinem Bett stand ein Klappstuhl; ich setzte mich und sah zu, wie er sich unruhig unter seiner Decke bewegte – wahrscheinlich die einzige Art, wie er noch träumen konnte.
»Renée?«, fragte er leise und schaute mich unter gesenkten Lidern an.
Ich fuhr hoch – ich hatte ihn für bewusstlos gehalten. »Ja, ich bin’s.«
»Was machst du hier?«
»Ich hab einen Streuer voll Salz gegessen.«
Nathaniel wollte nachfragen, aber er konnte nur die Lippen bewegen. »Warum?«
»Um dich zu sehen.«
»Kommt mir etwas übertrieben vor.« Seine Stimme brach. »Die lassen mich eh in ein paar Tagen wieder raus.«
Das bezweifelte ich stark. Ich war mir nicht mal sicher, ob er sitzen konnte.
Er tastete den Nachttisch nach seiner Brille ab. »Du weißt ja, Salz ist ein Konservierungsmittel.«
Das war typisch Nathaniel, quasi noch auf dem Totenbett einen Vortrag über die chemischen Eigenschaften von Salz zu halten. »Ich hab sie«, sagte ich und hielt die Brille hoch. »Hab sie auf dem Rasen gefunden.«
»Danke.« Mit zitternden Fingern schob er sie auf
Weitere Kostenlose Bücher