Dead Beautiful - Deine Seele in mir
Zehn-Uhr-Ausgangssperre schnitt im Vergleich noch gut ab.
»Hier«, sagte Eleanor, »nimm die.« Sie zog ihre Schublade mit der Unterwäsche auf und wühlte darin, bis sie eine halb abgebrannte Kerze fand. »Weißt du, ich hab immer geglaubt, dass Nathaniel irgendwie seltsam ist, dass ich ihn gruselig finde oder so. Aber heute Abend war er richtig nett. Und normal, auf eine abnormale Art.«
Ich nickte, aber der, an den ich denken musste, war nicht Nathaniel.
»Also, Dante war mit Cassandra … befreundet?«, fragte ich und versuchte, es ganz beiläufig klingen zu lassen, während ich mir die Haare bürstete.
Eleanor blickte von ihrem Tagebuch auf, die Augen aufgerissen vor Aufregung, als hätte sie auf diese Frage gehofft. »Beide waren im Lateinerklub. Na ja, so haben wir ihn genannt, weil sie alle Aufbaukurs Latein hatten. Jedenfalls waren da Cassandra, zwei aus dem dritten Jahr namens Gideon DuPont und Vivian Aletto, Yago Castilliar aus dem zweiten Jahr und Dante. Sie sind alle total schlau und irgendwie elitär. Die wissen alles über die Antike, sie sprechen Latein fließend und sie haben immer in der Bibliothek zusammengehockt und auf Latein rumgeflüstert, damit niemand sie versteht.«
Eleanor stand auf, um das Fenster zu öffnen, und setzte sich dann neben mich auf mein Bett. »Lass mich das machen«, sagte sie und fing an, mein Haar zu flechten.
»Nachdem Benjamin tot war und Cassandra von der Schule verschwunden, war’s vorbei mit der Idylle. Also, nicht für alle, aber für Dante. Er hatte einen Riesenstreitmit Gideon, Vivian und Yago, im Park, nach der Sperrstunde. Das Geschrei hat man bis zu mir ins Zimmer gehört.«
Ich umschlang meine Knie. »Was haben sie gesagt?«
Eleanor lachte. »Das weiß kein Mensch. War alles auf Latein. Die Lehrer sind erst hingekommen, als es schon vorbei war. Danach hat sich Dante praktisch aus der Schule zurückgezogen. Er spricht mit keinem mehr und ist vom Campus weg. Ich glaub, er ist der einzige Schüler am Gottfried, der in Attica Falls wohnen darf.«
»Vielleicht weiß er was darüber«, sagte ich und blickte aus dem Fenster zu den Bäumen hinter den Schulmauern.
»Worüber soll er was wissen?«, fragte Eleanor und zerrte an meinem Zopf. »Halt mal still.«
»Über Benjamins Tod. Es ist doch nicht normal, wie er gestorben ist. Und Dante hat ihn gefunden.« Ich drehte mich zu Eleanor um. »Vielleicht hat Dante irgendwas bei seiner Leiche entdeckt und der Schule nichts davon erzählt. Vielleicht ist der Streit darum gegangen.«
Verwirrt runzelte Eleanor die Stirn. »Was bei seiner Leiche gefunden? Wovon redest du?«
»Eine Münze, zum Beispiel. Oder Stoff.«
Eleanor warf mir einen skeptischen Blick zu. »Also, er hatte Klamotten an. Und er hatte wahrscheinlich Kleingeld in der Tasche. Na und? Benjamin ist eines natürlichen Todes gestorben. Und wen kümmert’s schon, worum sie sich gestritten haben? Ihr Freund ist gestorben und Cassandra ist weg an eine andere Schule. Sie waren wahrscheinlich einfach völlig fertig.«
Ich seufzte. »Wahrscheinlich.« Auch wenn jedes ihrer Worte einleuchtete: Ich glaubte nicht daran.
»Aber wenn Dante tatsächlich was verheimlicht, dann kannst du es vielleicht aus ihm rausbekommen«, sagte sie und knotete ein Haargummi um mein Zopfende. »Ich glaube, er mag dich.«
»Er hat drei Worte mit mir gesprochen und mir dann gesagt, dass ich auf seinem Platz sitze. Das kann man wohl kaum als Mögen bezeichnen.«
»Okay, aber du musst zugeben, dass er einen umhaut. Bist du nicht wenigstens neugierig?«
Das war ich, aber nicht bloß, weil er so verboten gut aussah. Da war irgendwas in seinem Blick gewesen, wodurch ich mich lebendiger gefühlt hatte als jemals, seit meine Eltern gestorben waren. So kurz unser Gespräch auch gewesen war, bekam ich es nicht mehr aus dem Kopf. Warum redete er mit mir und sonst mit niemandem? Es konnte kein Zufall sein, dass er Benjamin im Wald gefunden hatte, tot nach einem Herzanfall, genau wie ich meine Eltern. Klar, einen Beweis, dass er etwas wusste, gab es nicht. Seine Freunde konnte er aus Tausenden von Gründen sitzen gelassen haben. Aber was, wenn mehr dahintersteckte?
Ich wollte gerade antworten, als jemand gegen die andere Seite der Wand über Eleanors Bett klopfte. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein listiges Lächeln aus. Sie warf sich auf ihr Bett und klopfte dreimal, wartete und klopfte dann noch einmal.
Auf Zehenspitzen schlich sie sich zur Tür und presste ihr Ohr dagegen, um sich
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