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Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Titel: Dead Beautiful - Deine Seele in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Woon
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abschreiben, bis die Stunde um war. Kaum hatte ich das Klassenzimmer verlassen, blätterte ich mich durch mein Wörterbuch, um herauszufinden, was sie angeschrieben hatte. Als ich schließlich die Übersetzung vor mir hatte, sah ich mich misstrauisch um.
    Latein: Die Sprache der Toten.
    Der übrige Tag verging wie im Traum. Wie eine Herde Vieh wurden wir von einem Klassenzimmer ins nächste gescheucht und schleppten unsere Bücher die klapprigen Stufen von Haus Horaz hinauf und hinunter, nur von einemkurzen Mittagessen unterbrochen. Ich hatte so lange nicht mehr die Schule gewechselt, dass ich ganz vergessen hatte, wie schwer man es als die Neue hatte. Ich hatte keine Freunde und jeder auf dem Gottfried wirkte, als käme er gerade frisch von seinem englischen Landhaus oder von einem Polomatch mit dem Prinzen von Wales. Auf einige traf das wohl sogar zu – schließlich hatte das Gottfried tatsächlich eine Polomannschaft und einer aus dem Abschlussjahr war ein entfernter Verwandter der Herzogin von Kent. Eleanor war offensichtlich eines der beliebtesten Mädchen unseres Jahrgangs und flatterte von Gruppe zu Gruppe, um über ihren Sommer zu plaudern. Da sie nur zwei Stunden mit mir gemeinsam hatte und wir zwischendrin kaum zum Reden kamen, machten wir aus, alles beim Abendessen nachzuholen.
    Allein mit meinen Gedanken, fragte ich mich, was meine Freunde zu Hause wohl machten. Annie hatte jetzt sicher Biologie, saß in der letzten Reihe und tauschte Zettelchen mit Lauren, während Mr Murnane über den menschlichen Körper dozierte. Und wo konnte Wes stecken? Vielleicht in Geschichte der USA oder vielleicht in Englische Literatur. Früher hatte ich mich aufs Tagträumen über Wes gefreut, aber jetzt machte es mich traurig. Dachte er noch an mich oder hatte er schon eine Neue? Die Vorstellung, dass er mit einem anderen Mädchen seine Zeit verbrachte, war unerträglich. Ich versuchte, sie zu verdrängen und mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Nur so konnte ich diesen ersten Schultag überstehen, ohne den Verstand zu verlieren.
    Ich hastete gerade zu Philosophie, als ich hörte, wie hinter mir etwas zu Boden fiel. Ich fuhr herum. Auf den Dielenkniete ein zartes Mädchen mit strähnigen braunen Haaren; hektisch versuchte sie, ihre Papiere, Stifte und Bücher aufzuklauben, die ihr aus der Tasche gefallen waren.
    Ich spürte ihre Verlegenheit, stellte meine Tasche ab und ging zu ihr. Sie sah ziemlich fertig aus, mit geschwollenen Augen und glasigem Blick, als wäre sie gerade erst aufgewacht.
    »Kann ich dir helfen?«
    Dankbar schaute sie zu mir hoch und nickte. Ihr braunes Haar stand elektrisch aufgeladen vom Hinterkopf ab und ihre Strumpfhose hatte eine Laufmasche von der Ferse bis zum Rocksaum.
    »Ich bin Renée.«
    »Minnie«, entgegnete sie schüchtern.
    Bevor ich antworten konnte, spürte ich ein Klopfen auf der Schulter.
    Hinter mir stand eine Frau mit einem Zollstock in der Hand. Sie war kurz und untersetzt, mit dicken Waden und einem übergroßen Blazer, an dessen linkem Revers eine Pfauenbrosche steckte. Ihr stumpfes, braunes Haar trug sie in einer »Mit mir ist nicht zu spaßen«-Frisur.
    Minnies Gesicht verzog sich vor Angst und sie stopfte den Rest ihrer Habseligkeiten in ihre Tasche, um sich danach sofort in die Ecke der Vorhalle zu flüchten. Ein paar Bleistifte blieben verstreut zurück.
    »Aufstehen«, schnarrte die Frau mich an.
    Aufgerichtet überragte ich sie; meine Augen lagen auf ihrem Scheitel.
    »Wie heißen Sie?«
    »Renée«, antwortete ich erbost, da ich nicht einsah, hierherumkommandiert und nach meinem Namen gefragt zu werden, nur weil ich einem Mädchen beim Aufheben seiner Sachen geholfen hatte. »Und Sie?«
    Sie starrte mich an, fassungslos über meine Unverschämtheit. »Unglaublich dreist«, murmelte sie, fast zu sich selbst. »Mein Name ist Mrs Lynch. Aber prägen Sie ihn sich nicht mühsam ein; mit der Zeit wird er Ihnen schon bekannt vorkommen. Wer sich derart schlecht unterordnen kann wie Sie, der wird mich wohl in Zukunft noch sehr oft zu sehen bekommen.«
    Sie packte mich beim Ellbogen und führte mich zum Fuß der Treppe.
    »Was machen Sie da?«
    »Standardprozedere.«
    »Aber ich habe doch gar nichts gemacht!«
    »Hinknien!«, bellte sie.
    Fassungslos über ihren sonderbaren Befehl ließ ich mich auf den Boden vor der Treppe niederfallen und versuchte mir einzureden, dass Lehrer ihre Schüler nicht mehr mit einem Zollstock schlugen. Oder etwa doch? Um uns herum scharte sich eine

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