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Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Titel: Dead Beautiful - Deine Seele in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Woon
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Horaz zu unserer ersten Nachhilfestunde. Er saß auf der Heizung, die schon lief, obwohl es erst September war. Schließlich waren wir in Maine. Seine Hände steckten in den Hosentaschen und er lehnte an den dicken blauen Vorhängen hinter ihm, wie ein einsamer Ritter. In mir flatterte es. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar, zurrte meinen Rock gerade und ging dann zu ihm hinüber.
    »Ist dir nicht heiß?«
    Er sah mich verwirrt an und merkte dann, wie ich auf die Heizung unter ihm schaute. »Ah. Nein, hab ich gar nicht gemerkt.« Lächelnd hob er eine Augenbraue. »Bin wohl ein Kaltblüter.«
    Ich lachte, während er mir die Tasche abnahm. Ich hatte gedacht, dass wir in der Bibliothek lernen würden, aber die Bibliothekarin war so streng mit ihrem Verbot von Lärm, dass sich jede Unterhaltung eigentlich verbot. Stattdessenschlug Dante ein leeres Klassenzimmer in Haus Horaz vor. »Dürfen wir das denn?«, fragte ich.
    Er lächelte. »Solange wir uns ruhig verhalten.«
    Dante führte mich zu dem Raum, in dem ich Latein hatte. Bevor wir hineingingen, öffnete er die Tür einen Spalt und lugte hinein. Es roch schwach nach Mrs Lumbars Parfum. »Komm«, sagte er und wir schlüpften ins Zimmer.
    »Dein Problem sind die Deklinationen«, erklärte Dante und blätterte durch meinen Spiralblock. »Das Tolle an Deklinationen ist, dass sie jedem Wort eine Persönlichkeit geben. Durch sie bekommt jedes Substantiv oder jedes Objekt eine ganz andere Form oder einen anderen Klang.«
    Eine Haarsträhne fiel ihm vors Gesicht und er schob sie sich hinters Ohr. Er sah mich an. »Ein Wort, das vielleicht hässlich klingt, kann richtig schön klingen, wenn man es mit dem richtigen Pronomen verbindet. Das ist ein bisschen, wie wenn zwei Leute gegenseitig ihre jeweils besten Eigenschaften hervorbringen.«
    Ich errötete. Mir gegenüber war er redselig, manchmal geradezu süß. Und auch wenn ich es nicht zugeben wollte, war die gemeinsame Zeit mit ihm die einzige, in der ich den Tod meiner Eltern beinahe vergaß.
    »Entschuldige«, sagte er, als er bemerkte, dass ich rot geworden war, und gab mir meinen Block wieder. »Ich hab’s nicht so mit Worten.«
    »Das stimmt nicht. Ich mag deine Erklärung. Jetzt begreif ich langsam mehr.«
    »Mehr über mich oder über Latein?«
    »Latein. Bis auf die Musik, die du magst, und die Bücher,die du liest, weiß ich über dich fast nichts. Über deine Vergangenheit.«
    Dante beugte sich näher zu mir und betrachtete meinen blauen Faltenrock, meine schwarzen Strümpfe, meinen Rollkragenpulli. »Was willst du wissen?«
    »Wo kommst du her?«
    Er zögerte. »Aus dem Westen. Dem Nordwesten. Hauptsächlich British Columbia, in Kanada. Wir sind oft umgezogen.«
    »Deine Familie, meinst du?«
    Dante nickte. »Meine Schwester und ich. Meine kleine Schwester. Das ist aber lange her. Sie ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Meine Eltern auch.«
    »Was für ein Unfall?«
    »Flugzeugabsturz«, sagte er schnell.
    »Wie hieß sie?«
    Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah mich regungslos an. »Cecilia.«
    Ich suchte nach Worten. »Das tut mir leid.«
    Dante beobachtete mich. »Es ist lang her.«
    »Und deshalb bist du hergekommen?«
    »Nein, erst war ich bei Pflegeeltern. Es war schrecklich dort; ich wusste, ich muss da raus. Dann hab ich das Gottfried entdeckt.«
    »Fehlen sie dir? Deine Familie, meine ich.«
    »Ich hab, ehrlich gesagt, kein bisschen richtige Erinnerung an sie. Es ist so ewig her, dass sie verblasst ist. Mir fehlt, dass sie mir fehlen.«
    Sein Lächeln verwandelte sein Gesicht in etwas Zartes.
    »Erzähl mir von deinen Eltern«, bat er vorsichtig.
    »Sie waren Lehrer.« Ich hielt inne und stellte sie mir vor – meine Mutter und mein Vater, gemeinsam in unserem Haus. Obwohl ich sie tagtäglich vermisste, hatte ich tatsächlich schon wochenlang nicht mehr daran gedacht, wie sie gewesen waren, daran, wie wir als Familie gewesen waren.
    »Was noch?«, fragte Dante.
    Ich erzählte ihm von ihren kleinen Besonderheiten, von unserem Leben in Kalifornien, wie ich vor ihrem Tod gewesen war. Dante wandte seinen Blick nicht von mir ab, als ich berichtete, wie sie gestorben waren, wie ich sie gefunden hatte, wie ich ans Gottfried gekommen war. Und plötzlich waren wir wieder in der Gegenwart angekommen.
    Es entstand eine lange Pause und dann beugte Dante sich vor und schrieb mir einen lateinischen Satz in den Spiralblock. Mortui in nobis vivunt.
    »Was heißt das?«
    »Die Toten leben in

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