Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
verwundert an. »Ja, bin ich. Wollten Sie Clementine Hallo sagen?«
Clementine grinste höhnisch.
»Äh – ja. Ich komm später wieder. Ich wollte nicht stören.«
»Wegen mir müssen Sie nicht gehen«, sagte er. »Ich bin gleich wieder weg, wenn ich Clementines Sachen reingetragen habe.«
»Wolltest du mich was fragen?«, sagte sie und zog die Handschuhe aus. »Kannst du ruhig. Keine falsche Schüchternheit.«
Mein Blick wanderte von ihr zu ihrem Vater. Er blinzelte erwartungsvoll. »Ich – hab nur gerade was in meinem Zimmer entdeckt. Einen zerbrochenen Wasserkrug. Und die Schranktür stand offen, obwohl ich sie bestimmt zugemacht habe, bevor ich weg bin. Jetzt frag ich mich, ob du vielleicht jemand gesehen hast, der in meiner Abwesenheit in mein Zimmer rein ist?«
Clementine hob eine zarte Augenbraue. »Aber ich komm doch gerade erst zurück. Woher soll ich das wissen?«
Das Gepäck zu ihren Füßen troff vor geschmolzenem Schnee. Vielleicht sagte sie die Wahrheit. Doch wer war dann in meinem Zimmer gewesen?
Ich verbrachte die Nacht auf Anyas Sofa, unter einer kratzigen selbst genähten Patchworkdecke ihrer Großmutter, auf die das Zeichen der Katze als Glücksbringer eingesticktwar. Anya zündete im ganzen Zimmer Kerzen an und ich erzählte ihr von dem Gehöft und der dunklen Gestalt, die bei unserer Flucht in den Wald hinter den Kindern gestanden hatte. Noch als sie längst eingeschlafen war, lag ich wach, während um mich herum die Kerzen flackerten. Die umwölkten Augen des Jungen, den ich in seiner Todesqual auf dem Kellerboden zurückgelassen hatte, verschwommen mit denen von Dante und verfolgten mich in meine Träume.
Am nächsten Morgen rüttelte Anya mich wach. Die Kerzen waren alle heruntergebrannt und durch die Vorhänge lugte der Januartag hinein. »Wir haben Strategie und Prognose verpennt«, sagte sie und warf sich Kleider über. Unser Unterricht hätte irgendwo außerhalb der Stadt stattfinden sollen. Als wir es schließlich aus der Tür geschafft hatten, war die Stunde schon vorbei und der Kleinbus wieder beim Schultor geparkt. Ich entdeckte Noah auf dem Gehsteig, die Ausrüstung in der Hand.
»Was war los?«, fragte er. »Wir wollten heute Morgen zum Rektor.«
»Entschuldigung«, sagte ich mit gedämpfter Stimme, weil Clementine uns beobachtete. »Ich hab verschlafen.«
Noah musterte mich, schien herausfinden zu wollen, ob ich ihm etwas vormachte. »Also war’s nicht, weil du –«
»Natürlich nicht«, sagte ich, bevor er es aussprechen konnte.
Der Rektor schleppte gerade die letzten Unterrichtsmaterialien aus dem Bus, als wir auf ihn zutraten.
»Rektor LaGuerre?«, sagte ich und tippte ihm auf die Schulter.
Er fuhr zusammen. »Oh, Renée. Und Noah. Was kann ich für Sie tun?«
»Wir müssen mit Ihnen reden«, sagte ich. »Unter sechs Augen.«
Er schloss die Tür und rieb sich die Hände in der Kälte. »Ist alles in Ordnung?«
Ich nickte. »Es geht um das Liberum.«
Das wischte ihm das Lächeln vom Gesicht. »Pardon?«, fragte er und kam näher.
Unten am Weg stand Clementine und ließ uns nicht aus den Augen.
»Wir wissen, wo sie sind«, sagte Noah. »Wir haben sie gesehen.«
Der Rektor schaute sich in alle Richtungen um und knöpfte sich den Mantel zu. »Folgen Sie mir.«
In seinem Büro grub er unter den Papierstapeln zwei Stühle aus und wies sie uns zu. Dann ließ er sich hinter seinem Schreibtisch nieder und verschränkte die Hände. »Dann legen Sie mal los.«
»Es hat alles mit einer Vision von einem Bauernhaus begonnen«, sagte ich und berichtete ihm von unserer Fahrt, dem albtraumhaften Haus und von dem, was ich durch die Heizungsrohre belauscht hatte. Noah beendete die Geschichte, während ich auf die Topfpflanzen auf dem Fensterbrett starrte und versuchte, den Jungen im Keller aus meinem Kopf zu verbannen.
»Sie sind sicher, dass die Person, die Sie gesehen haben, ein Bruder des Liberum war?«, fragte der Rektor.
Ich zögerte. »Nicht sicher, aber ich habe ihn mit den Kindern Latein sprechen gehört.«
»Sie haben das schon letzten Abend gewusst und mir kein Wort davon erzählt?«, sagte er und durchbohrte mich mit Blicken.
»Wir waren in Ihrem Büro, aber Sie waren nicht da«, erklärte Noah, der nicht wusste, wovon der Rektor sprach.
»Haben die Sie gesehen?«
»Ja«, sagte ich.
»Aber die meisten von ihnen waren blind«, warf Noah ein.
Die Schultern des Rektors sackten ab vor Erleichterung. »Und sie hätten Sie unmöglich
Weitere Kostenlose Bücher