Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
gefährlich ist. Du weißt weder, woher diese Träume kommen, noch, warum du sie hast. Gerade hast du gesagt, du hast von Miss LaBarge geträumt, kurz bevor sie gestorben ist. Was wäre passiert, wenn du rechtzeitig aufgewacht wärst, um noch zu ihr zu gehen?«
»Dann hätte ich sie retten können.«
»Oder du wärst auch gestorben«, sagte er lauter, als er wohl beabsichtigt hatte. Er senkte wieder die Stimme undflehte mich an. »Ich hab dich letztes Jahr schon um ein Haar verloren. Das kann ich nicht noch mal riskieren. Bitte, versprich mir, dass du dich von diesem Krankenhaus fernhältst.«
Ich zögerte. Bevor ich antworten konnte, raschelte es irgendwo im hinteren Bereich der Kathedrale. Wir erstarrten und hörten, wie das Eisentor des Friedhofs quietschend auf- und scheppernd wieder zuging.
Bevor ich wusste, wie mir geschah, führte mich Dante zu einem großen Grabstein hinter der Trauerweide und zog mich zu sich herunter, während wir beide ins Gras sanken.
Ich vergrub mein Gesicht in seinem Hals; wir horchten auf Fußtritte. Und warteten. »Wer war das?«, flüsterte ich in Dantes Ohr, als er am Stein vorbeispähte. Nach Zedern roch er und nach getrockneten Blättern, nach einer Winternacht im Wald. Ich schnappte ihn am Kragen und zog ihn zu mir heran. Als er seinen Kopf in meine Richtung wandte, trennten unsere Lippen nur ein paar Fingerbreit. »Der Gärtner«, antwortete er und sein Atem vermischte sich mit meinem.
Dante ließ seine Hand meinen Rücken hinabgleiten, während die Fußtritte in der Ferne verschwanden. Sacht berührten seine Finger den Bereich zwischen meinen Schultern, doch da durchfuhr mich plötzlich ein brennender Schmerz. Ich konnte mich nicht bremsen und rang nach Luft.
»Was war das?«, fragte Dante und ließ ruckartig los. Seine Hand fiel zurück an seine Seite.
Der Schmerz war ebenso schnell vergangen, wie er gekommen war. Dantes Gesicht spiegelte deutlich seine Besorgnis. Hatte er das auch gespürt? »Ich hab keine Ahnung«,sagte ich und versuchte, mich wieder in den Griff zu kriegen.
Er sah mich skeptisch an und legte wieder langsam seine Handfläche zwischen meine Schultern. Ich konnte nicht anders; ich zuckte zusammen, als genau der gleiche prickelnde Schmerz wieder durch meinen Hals jagte. Wir setzten uns auf, vorsichtig wickelte er mich aus der Strickjacke und zog hinten den Kragen meiner Bluse hinunter.
»Du hast da ein Mal«, sagte er und fuhr meine Rückenwirbel entlang. »Wie lange hast du das schon?«
»Ich wusste nicht, dass ich eins habe.« Mir wurde ganz unbehaglich unter seinem Blick. »Das hat sicher nichts zu bedeuten.«
»Das hat es sehr wohl. Ich habe auch so was. Schau mal«, sagte er und führte meine Hand zu seinem Kreuz.
Ich ließ meine Finger über seine Wirbelsäule gleiten, bis ich sie fühlen konnte. Winzige Vertiefungen, die ihm den ganzen Rücken hinaufkletterten. Sie waren so unauffällig, dass es mich nicht wunderte, sie bisher noch nie bemerkt zu haben. Reflexartig zog ich meine Hand zurück. »Was ist das?«
Dante berührte eine der Sommersprossen auf meinem Arm. »Ich nenn sie meine Altersflecken.«
»Das kapier ich nicht.«
»Ich hab bisher jedes Jahr einen dazubekommen, immer am gleichen Tag. Dem Jahrestag meines Todes.«
»An den Malen kann man abzählen, wie lange du schon tot bist?«
Dante wandte die Augen ab, als wollte er sich dafür entschuldigen, was er war.
Ich griff mir den Saum seines Hemds und zog es ihm aus; sah, wie seine Schultermuskulatur sich unter seiner Haut abzeichnete, als er die Arme fallen ließ. Ich fuhr mit den Händen seinen Rücken hinauf, zählte jedes Mal wie die Knoten in einer Rettungsleine. Sie endeten zwischen seinen Schulterblättern, einen Wirbel vor der Stelle, wo sich mein Mal befand.
»Da sind nur sechzehn –«, sagte ich und brach mitten im Satz ab. Ich war gerade siebzehn geworden und das bedeutete, dass Dante ein Mal fehlte.
Als könnte er meine Gedanken lesen, sagte er: »Dieses Jahr hab ich keins bekommen.«
»Was passiert, wenn dir der Platz ausgeht?« Ich legte meine Hand auf seinen Hals, direkt oberhalb des letzten Mals.
Dante hatte nur Augen für die Grabsteine, die aus dem Gras herauslugten.
Wie vor den Kopf gestoßen rückte ich ein Stück von ihm ab und starrte auf den freien Raum, der auf Dantes Rücken übrig war. Wie viele Male passten da noch hin? Plötzlich verließ mich alle Kraft. Fünf Jahre. Das war die Zeit, die ihm blieb.
Wie misst man das Leben eines Menschen?
Weitere Kostenlose Bücher