Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
»Welche Schaufel?«
Ihre Frage drang fast nicht zu mir durch. »Sie sagt, meine Visionen zeigen die Gegenwart. Das heißt, ich sehe gar nicht in die Zukunft.«
»War mir klar. Hab ich’s dir nicht gesagt?«
»Sie hat gemeint, wenn ich ihnen folge, dann finde ich das Leben
und
den Tod.«
Anya erstarrte. »Du könntest sterben?«, sagte sie so laut, dass sich ein Pärchen vor uns umdrehte.
»Pssst!«, machte ich, obwohl ich mir nicht sicher war, vor welchen Lauschern ich Angst hatte. Weiter unten an der Straße lag ein ruhiges Café. »Los, komm«, sagte ich und schleifte sie hinter mir her.
Drinnen war es warm und angenehm schlecht besucht, bis auf ein paar alte Männer, die sich zum Klang der Kaffeemühle über ihre Zeitungen beugten. Am Tresen bestellte ich eine große Tasse Tee und setzte mich dann an einen Tisch in der hintersten Ecke, während Anya sich einen Teller mit Keksen aussuchte.
»Also könntest du sterben?«, wiederholte Anya, als sie mir gegenübersaß.
»Zinya sagt, ich würde
beides
finden, das Leben und den Tod. Aber auch, dass die Visionen mich zur Antwort auf meine Seele führen.«
»Was soll das bitte heißen?«
Dante, dachte ich und mein Herz setzte einen Schlag aus, bevor es wieder zu Leben erwachte. Sie musste gemeint haben, dass die Visionen mich zu einer Antwort darauf führen würden, wie Dante und ich zusammen sein konnten. Doch meinte sie, dass es für einen von uns den Tod bedeuten würde und für den anderen das Leben? »Weiß ich nicht. Glaubst du, sie meint das mit Leben und Tod wörtlich? Dass ich sterben und leben würde?«
»Die kommt vom Land. Die meint alles wörtlich.«
Ich fuhr mit dem Finger an meiner Untertasse entlang und dachte über die Visionen nach. Irgendetwas in mir schrie:
»Folge ihnen!«
Nur eins schien sinnvoll: sehen, wohin sie mich führten. Sonst würde ich es nie erfahren. Aber wenn Dante nun recht hatte? Was, wenn sie gefährlich waren?
»Wer ist Dante?«, fragte Anya und unterbrach meine Grübeleien.
»Was?«
Sie brach einen Keks entzwei und knabberte mit ihrem krümeligen Mund an einem Ende. »Grad hast du gesagt: ›Wenn Dante nun recht hat.‹«
Ich verzog ärgerlich das Gesicht. Mir war nicht klar gewesen, dass ich laut vor mich hin sprach.
Anya leckte sich die Fingerspitzen ab. »Ist das dein Freund?«
»Ich – äh – nein, wir sind nur befreundet. Also platonisch«, sagte ich, voller Sorge, dass mein Großvater oder irgendwer von den Wächtern Wind davon kriegen könnten, dass Dante und ich noch zusammen waren. Sie würden ihn begraben.
»Schicker Name«, sagte sie.
»Was weißt du über das Royal-Victoria-Krankenhaus?«, fragte ich, um das Gespräch zurück auf Zinya zu lenken.
»Dante.« Anya ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. »Was sagt mir das?«
Ich verschluckte mich an meinem Tee und musste husten. Gerade war mir klar geworden, dass sie den Namen natürlich von all den Gerüchten über das Gottfried und die Ereignisse des letzten Frühlings her kennen musste.
Anya hörte auf zu kauen. »O mein Gott. Mit dem bist du zusammen?«
Ich wischte mir den Mund mit einer Serviette ab. »Ich – äh – nein.«
»Es ist also wahr«, sagte sie ehrfürchtig. »Du triffst dich immer noch mit ihm. Aber wie? Das ist doch dermaßen gefährlich hier.« Als ich nicht reagierte, rückte Anya ihrenStuhl näher heran. »Ist was dran an den Gerüchten? Hat er wirklich den Mord an der Rektorin geplant?«
Weil ich befürchtete, dass sie aus meinem Gesicht alles herauslesen würde, richtete ich meinen Blick auf meinen Keks, den ich in der Hand zermahlen hatte. Bis auf Eleanor ahnte niemand, was letztes Jahr in jener Frühlingsnacht geschehen war. Ich hatte immer gern Geheimnisse gehabt, von der Sorte, die man den besten Freundinnen im Licht der Taschenlampe unter der Bettdecke erzählt. Dabei war es mir immer so vorgekommen, als würde ich einen Teil von mir selbst weitergeben, und danach wären wir dann für immer verbunden. Inzwischen hatte ich erkannt, dass echte Geheimnisse eine einsame Angelegenheit waren. Sie schlugen Wurzeln in einem und nahmen immer mehr Raum ein, bis man sich schließlich fühlte, als bestünde man aus nichts anderem – aus einem kleinen, einsamen Geheimnis im Gefängnis der eigenen Erfahrungen. »Er hat die Rektorin nicht umgebracht, aber mehr kann ich darüber einfach nicht sagen«, erklärte ich. »Ich wünschte, ich könnte es.«
Anya musterte mich, als stünde mir die Wahrheit ins
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