Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
Falten und drehte es herum, grunzte, wendete es noch einmal und fuhr dann mit dem Finger am unteren Rand eine Schmierspur nach.
Unbehaglich rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her,dann blickte sie auf. Mit einem ganz neuen Ausdruck in ihren Augen nahm sie mich unter die Lupe, als entdeckte sie gerade etwas völlig Unerwartetes an mir. »Vergangenheit ist sehr dunkel.«
Unbeeindruckt lehnte ich mich zurück. Das war so schwammig, dass es praktisch auf jeden zutraf.
Sie folgte mit ihrem Finger einer Form in der Mitte des Flecks. »Da ist Frau in Boot. Du jagst sie.« Zinya sah mich bestätigungsheischend an.
Bei mir läuteten alle Alarmglocken. »Ja.«
»Du nimmst ihr Waffe, wirfst ins Wasser. Kann nicht wehren. Stirbt.«
Ich war dermaßen geplättet, dass ich mich nicht rühren konnte. Auch wenn sie noch so gebrochen klangen: Zinyas Worte hatten mich zurück in die neblige Nacht katapultiert, die in meiner Erinnerung noch so frisch war wie ein echtes Erlebnis. Das kalte, stille Wasser, das mich umgeben hatte; der Dunst, der sich über Miss LaBarge teilte, als sie mir den Spaten über den Schädel zog; das Splittern des Holzgriffs, als ich ihn ihr entwand, ihn fallen ließ, als er in den schwarzen Tiefen des Sees versank. Konnte Zinya recht haben? War Miss LaBarge gestorben, weil sie ihre Waffe nicht mehr gehabt hatte? Hätte ich sie retten können? Ich beugte mich vor und betrachtete die Flecken auf dem Papier, versuchte zu sehen, was sie sah. Aber für mich waren es nur rosa Wirbel.
Zinya stemmte ihre fleischigen Ellbogen auf den Tisch. Als sie aufblickte, waren ihre Augen feucht und irgendwie verständnisvoll. »Wir hören auf, wenn du willst.«
Hilflos schüttelte ich den Kopf. Sie faltete den zweiten Bogen auseinander. »Gegenwart.«
Es zeigte eine Reihe konzentrischer Ovale, unregelmäßig und von der Faltung verschmiert. Sie beäugte sie kritisch. »Deine Träume. Sind nicht Zukunft. Sind jetzt. Gegenwart.«
Eine Fliege summte um die Schüssel auf dem Tisch herum. Zinya scheuchte sie fort, während ich zu verarbeiten versuchte, was sie mir da sagte. In meinen Träumen hatte ich nicht die Zukunft gesehen, sondern die Gegenwart. Aber wieso? Das bedeutete, dass ich Miss LaBarge niemals hätte retten können. Was auch immer ich in meinen Träumen sah, mir blieben die Hände gebunden. Ich konnte sie nicht beeinflussen. Warum hatte ich sie dann?
Zinya faltete das dritte Papier auseinander und strich es auf dem Tisch glatt. »Zukunft.«
Das Muster war durch eine Schlangenlinie in zwei geteilt. Eine Seite war völlig weiß, die andere ein Chaos aus roten Punkten, die wie Blutspritzer und Geschmiere aussahen. Zinyas Gesichtszüge spannten sich an. Eine ganze Weile lang sagte sie nichts.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. »Was ist los?« Meine Stimme klang panisch. »Was steht da?«
»In deinen Träumen du suchst nach etwas«, sagte sie und fuhr die Linie in der Blattmitte hinab. »Wenn du folgst, endet das mit Tod.« Sie deckte die saubere Hälfte des Backpapiers ab. »Und mit Leben«, setzte sie nach und schob ihre Hand beiseite.
Meine Augen jagten zwischen den beiden Blatthälften hin und her. »Tod
und
Leben? Beides kann es ja nicht sein. Also was? Wohin führt es mich?«
Sie deutete auf den unteren Rand des Blatts, wo sich die Spur zu beiden Seiten gabelte. »So steht es geschrieben.«
»Was soll ich also machen?« Mein Stuhl schabte mit einem hässlichen Geräusch über den Boden, als ich mich frustriert gegen die Lehne warf. »Soll ich meinen Visionen folgen oder nicht?«
»Nur wenn du wissen willst, wohin sie führen.«
»Was meinen Sie? Wo führen sie denn hin?«
Sie wischte sich ihre Hände an der Schürze ab und hievte sich in die Senkrechte. »Die Antwort auf deine Seele.«
Ich musste beim Aufbruch noch ziemlich durch den Wind gewirkt haben, denn als Anya nach ihrer eigenen Sitzung mit Zinya wieder herauskam, starrte sie mich eine ganze Weile lang nur an, bevor sie mich dann schweigend nach draußen führte. »Was hat sie zu dir gesagt?«, fragte sie schließlich. Der Rückweg zur Schule führte uns gerade eine ziegelgepflasterte Straße mit winzigen Geschäften hinunter.
»Sie hat Dinge gewusst, die keiner wissen kann«, sagte ich und redete mehr mit mir selbst als mit Anya. »Sie hat von Miss LaBarge gewusst.«
»Ich hab dir gesagt, sie kann’s echt.«
»Sie hat von meiner Vision gewusst«, murmelte ich in meinen Bart. »Von der Schaufel.«
Anya sah mich verwirrt an.
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