Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Woon
Vom Netzwerk:
ich zurück auf mein Zimmer kam, wartete Anya mit genervtem Gesichtsausdruck vor meiner Tür. Am Leib hatte sie ein knallenges Nichts, das eher an einen Nachtclub als an die Kleiderordnung denken ließ. Ihr rotes Haar trug sie heute zu Zöpfen gebunden, mit straßenköterbraunen Haarwurzeln entlang des Scheitels.
    »Warum bist du noch nicht fertig?«, fragte sie mit einem Blick auf mein zusammengewürfeltes Outfit.
    Ich mühte mich mit dem Schlüssel ab. »Fertig für was?«
    »Für einen Blick in deine Zukunft.« Sie zog ihre fransenbehangene Tasche zurecht.
    »Heute? Aber ich hab Unterricht.«
    »Ja, heute«, gab sie ungläubig zurück. »Und wir haben keinen Unterricht. Heute ist Samstag.«
    Ich schaute auf die Uhr. Da war etwas dran.
    »Und? Gehen wir?«
    Ich hätte schwören können, dass wir nichts verabredet hatten, doch das war jetzt auch egal. Ich hatte ohnehin nichts Besseres zu tun. »Meinetwegen.«
    Die Frau, die Anya kannte, lebte im Bezirk Mile End. Anya war dort aufgewachsen. Wir gingen zu Fuß dorthin und wanderten durch die Straßen der Innenstadt, bis wir am Mont Royal vorbeikamen. Der Berg erhob sich bedrohlich über dem Zentrum Montreals und verschluckte mit seinem Schatten die Westseite der Stadt.
    Es war ein diesiger Morgen, der Himmel von einem zähen Orange. Während Anya den Weg wies, unterhielten wir uns. Sie war in Russland geboren, lebte aber in Montreal, seit sie zehn war. Ihr Vater hatte eine Drogerie; an den Wochenenden hatte sie ihm früher immer ausgeholfen und die Regale bestückt. So hatte sie auch gelernt, wie man sich schminkt und die Haare färbt: indem sie sich aus den väterlichen Regalen Ware »geborgt« hatte.
    Obwohl sie jetzt schon zwei Jahre aufs St. Clément ging, hatte sie dort kaum Freunde. »Ich hab meine eigenen Leute. Russen«, erklärte sie. Aber über die sprach sie, wie ich über alle redete, die ich früher in Kalifornien gekannt hatte: als existierten sie nicht mehr. Sie stammten aus einer anderen Welt, einer Welt, in der es weder Wächter noch Untote gab, und ich konnte ihnen nicht sagen, wer ich war oder was ich tat.
    Anya und ich bogen in eine krumm geschwungene Straße ein. Die Häuser hier sahen aus wie Mietskasernen. Die Leute, die an uns vorbeigingen, schienen alle Russisch zu sprechen. »Gegenüber von meinem Friseur ist es«, sagte Anya. »Schau, da.« Sie wies auf ein etwas heruntergekommenes, wasserfleckiges Klinkerhaus. Über dem Eingang hing ein Schild in überdimensionierten kyrillischen Buchstaben. Anya hielt mir die Tür auf und ich trat ein. Ein Gewürzladen. Der Geruch von Nelken, Muskatnuss und Paprika kitzelte mich in der Nase. Anya sprach den Mann hinter dem Tresen auf Russisch an. Er schien sie zu kennen, denn er lächelte und schenkte uns beiden einen Honiglutscher, bevor er uns durch eine Hintertür tiefer ins Gebäude vorließ.
    Wir stiegen vier Stockwerke hinauf, bis wir zu einerWohnungstür kamen, in die ein Auge eingeschnitzt war. »Da wären wir«, sagte Anya und läutete. Niemand reagierte. Anya klingelte noch einmal und versuchte, einen Blick durch den Türspion zu erhaschen.
    »Vielleicht ist sie nicht da«, sagte ich und wand mich innerlich, als Anya gleichzeitig klopfte und den Daumen dauerläutend auf dem Klingelknopf liegen ließ.
    »Nein, die sind da. Die sind immer da.«
    Ein paar Augenblicke später hörten wir schwere Schritte auf dem Flur, dann das Klackern von Türriegeln, die beiseitegeschoben wurden. Als die Tür aufschwang, stand vor uns ein stark behaarter Mann mittleren Alters im Unterhemd und betrachtete uns prüfend. Anya erklärte ihm etwas auf Russisch. Er sah erst mich an, dann wieder sie, und dann schlug er uns die Tür vor der Nase zu.
    »Zinyetschka!«, hörte ich ihn drinnen bellen.
    »Was hat er gesagt?«, wollte ich wissen.
    »Wir müssen hier warten, ob sie uns holen kommt. Wenn Zinya uns akzeptiert, lässt sie uns rein. Wenn nicht, war’s das.«
    Während wir warteten, lugte ich aus dem Fensterchen im Treppenhaus. Ein groß gewachsener Junge in meinem Alter spazierte unten auf dem Gehsteig. Unter seinem Hemd bewegten sich breite Schultern, als er auf die Straße trat. »Dante?«, hauchte ich und trat eine Stufe hinab.
    »Was siehst du da?«, fragte Anya.
    Ich hörte sie kaum; ich sah zu, wie der Junge nach einem Taxi winkte. Beim Einsteigen hob er das Gesicht. Ich drückte mich gegen die Wand. Das war nicht Dante, niemals.
    Bevor Anya mich löchern konnte, ging die Wohnungstürauf und im Türrahmen

Weitere Kostenlose Bücher