Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
damit die neunte Schwester gemeint war. Und den Zeitungsausschnitten und Landkarten im Häuschen nach zu schließen war auch Miss LaBarge auf irgendeiner Suche gewesen.
War es möglich, dass meine Eltern und Miss LaBarge die Unsterblichkeit entdeckt und dafür mit dem Leben gezahlt hatten? Aber vielleicht hatte man sie gar nicht ermordet. Hatte ich Miss LaBarge nicht auf ihrer eigenen Beerdigung gesehen? Oder wie sie einen grauen Peugeot durch die Straßen von Montreal gelenkt hatte? Meine Brust bebte, als das Unmögliche plötzlich möglich schien: Hatten sie und meine Eltern das Geheimnis vielleicht benutzt und waren jetzt unsterblich?
Ein männliches Räuspern holte mich zurück auf die Erde. Erschrocken wirbelte ich herum und sah Noah neben meinem Stuhl stehen.
»Hi«, sagte er mit tiefer, glatter Stimme, wie das untere Register eines Cellos.
Ich schaute aus dem Fenster. Der Hof draußen war überschwemmt mit Schülern, die sich um den Brunnen drängten.
»Warum wirst du immer so rosa, wenn ich mit dir spreche?«
Mein Gesicht wurde spürbar heißer. »Da, bitte schön, jetzt bin ich rot«, lächelte ich verlegen.
Er lachte. »Wie wär’s mit einem Kaffee?«
»Oh, nein«, erwiderte ich hastig und zog meinen Rucksack über eine Schulter. »Hab schon was vor.« Obwohl meine Pläne lediglich darin bestanden, am Flussufer auf Dante zu warten.
»Was denn?«
»Ach – äh – was Privates.«
»Schon in Ordnung«, sagte er und rückte mit einem kleinen Diener meinen Stuhl nach hinten.
Ich machte mich auf in den Flur, Noah mir auf den Fersen. Ich dachte kurz nach, dann drehte ich mich um. »Möchtest du mich was fragen?«
Noah war näher hinter mir, als ich erwartet hatte: Sein Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt. »Wie kommst du darauf?« Sein warmer Atem kitzelte mich in der Nase. »Darf ich nicht mit dir denselben Gang entlanggehen?«
»Klar doch.« Das warf mich aus dem Konzept.
»Aber stimmt schon«, gab er zu und rückte sich die Brille zurecht. »Ich wollte mit dir sprechen. So schlimm?«
Ich legte den Kopf schief und sah ihn misstrauisch an.
»Okay, ich geb zu, ich hatte durchaus Hintergedanken.«
»Und die wären?«
»Erzähl ich dir beim Kaffee.«
»Weißt du, ich hab einen Freund.«
»Und ich hab eine Freundin. Ganz schön anmaßend von dir, das hier gleich unter Flirten zu verbuchen.«
Ich sah ihn aus schmalen Augen an; versuchte herauszufinden, ob das jetzt tatsächlich ein Flirt oder einfach nur seine Art war.
»Also sind wir beide vergeben«, fasste Noah zusammen. »Und nachdem das geklärt wäre, können wir einfach Freunde sein. Und als solcher würde ich dich gern auf ein freundschaftliches Heißgetränk einladen.«
Ich konnte mir das Lächeln nicht länger verkneifen. »Meinetwegen.«
Und ehe ich mich versah, spazierten wir schon die Gassen am alten Hafen entlang, redeten und lachten, einfach so. Das hatte ich schon eine ganze Weile nicht mehr getan. Noah war aus Montreal. Er war in Outremont aufgewachsen, einem Wohngebiet jenseits des Mont Royal. Seine Eltern waren Professoren und Wächter. »Sie sind zwei ziemliche Rechthaber«, betonte Noah. »Diskutieren liebend gerne über Politik.«
Über mich gab ich nicht viel preis, nur die relevanten Details: Ich kam aus Kalifornien; nach dem Tod meiner Eltern war ich zu meinem Großvater nach Massachusetts gezogen. Wohler war mir dabei, etwas über Noahs Leben zu hören, das für mich so sonnig, so glücklich klang. Es erinnerte mich daran, wie meines einst gewesen war, vor langer, langer Zeit.
Es musste sich nicht immer um Leben und Tod drehen, erkannte ich, während er mir erklärte, wo in Montreal man den besten Kaffee serviert bekam. Für ein paar Stunden konnte ich ganz unbeschwert die kurvigen Straßen entlangschlendern und dabei darüber diskutieren, ob Hockey nicht viel besser sei als Basketball oder warum Madame Goût Monsieur Pollet auf Teufel komm raus
Monsieur Polée
nennen musste.
Gerade wollten wir eine Bäckerei betreten, als ich gegenüber auf der Straße ein Frauengesicht aufblitzen sah.
Noah ging vor und stieß unter Glockengeklingel die Tür auf, doch ich blieb wie angewurzelt stehen. Die Frau hatte mir jetzt ihren Rücken zugewandt. Ich beobachtete, wie sie den Bürgersteig entlangging, wartete darauf, dass sie sich umdrehte.
»Renée?«, fragte Noah hinter mir. »Kommst du?«
Die Ampel schaltete auf Rot; die Autos bremsten ab. Langsam drehte sich die Frau um und blickte mir ins
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