Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
leise und rund und immer wieder und wieder:
logen logen logen logen
.
»Nein«, sagte ich dazwischen und stellte mir vor, das Echo sei Dante:
Nein. Nein. Nein. Nein. Nein.
Danach zog es mich immer wieder ans Wasser, wo ich durch die Silos mit mir selbst sprach. Ich war so darauf versessen, Dante zu finden, dass ich kaum noch über das Rätsel auf dem Grabstein nachdachte. Und zu meiner Überraschung ließ mich auch Clementine damit in Ruhe, obwohl ich wusste, dass sie nach unserer Begegnung auf dem Friedhof genauso enttäuscht gewesen war wie ich.
In jener Nacht hatten die Mädchen gegraben und gegraben, aber unter dem anonymen Stein war einfach nichts gewesen, noch nicht mal ein Sarg. Auf dem Rückweg zum Wohnheim, schmutzig und erdverschmiert wie wir waren, hatte Clementine kein Wort verloren. Danach war sie ruhiger geworden; nie mehr hatte sie mich im Flur abgepasst oder versucht, mich vor ihren Freundinnen bloßzustellen. Zuerst glaubte ich an eine Art Waffenstillstand, doch dann begriff ich, dass sie auf der Lauer lag, mich genauer beobachtete denn je. Herausfinden wollte, was ich wusste und wer bei mir gewesen war in jener Nacht.
Anya verschwieg ich die Geschehnisse zunächst, in ersterLinie, weil sie mich selbst so verwirrt hatten. Aber nach einer Woche gab ich es auf und erzählte ihr alles.
»Du bist ohne mich auf den Friedhof?«, fragte Anya. Wir saßen im Lateinzimmer und warteten auf die anderen.
»Ich hatte es eilig. Es ging alles so schnell.«
Sie drehte an ihrem Ohrstecker. »Was bedeutet es, glaubst du?«
»Was?«
»Das Rätsel natürlich«, sagte sie ungläubig.
»Ach, keinen Schimmer.«
Sie lehnte sich zurück und starrte mich an.
»Was ist los?«, fragte ich. »Warum glotzt du mich so an?«
»Seit Tagen isst du praktisch nichts«, sagte sie. »Du scherst dich nicht um das Rätsel, obwohl du mich noch vor ein paar Wochen zum Krankenhaus mitgeschleift hast. Was soll das alles?«
Die Tür öffnete sich und Clementine samt ihren Freundinnen trat ein, gefolgt von Monsieur Orneaux. Ich senkte die Stimme. »Tut mir leid«, sagte ich. »Aber ich kann nicht darüber reden.«
Anya kaute an ihrem Fingernagel. »Männerprobleme«, sagte sie mit Kennerblick. »So ist’s mir auch schon gegangen. Deshalb stech ich mir Ohrlöcher, wenn ich mich aufrege. Lenkt mich ab von dem Zeug, über das ich nicht nachdenken will.«
»Ich glaub, das ist nichts für mich.«
»Na klar«, grinste sie und zwickte mich in mein jungfräuliches Ohrläppchen, während sich der Lehrer am Kopf des Tisches niederließ und seine Unterlagen hervorzog. »Aber vielleicht lenkt dich das Rätselknacken von deinem Herzschmerz ab?«
»Im Grab war aber nichts«, flüsterte ich ins Geräusper von Monsieur Orneaux hinein. »Und die Friedhofskarte hab ich schon überprüft – ein salziges Gewässer gibt’s da nirgendwo in der Nähe. Und sollte wirklich auf irgendeinem der Grabsteine ein Bär sein, dann bräuchten wir Jahre, um den zu finden. Der Friedhof ist riesig.«
»Schon okay«, wisperte Anya. »Kein Grund, sich aufzuregen.«
Clementine hob die Hand. Monsieur Orneaux versuchte, sie zu ignorieren, und spulte seinen Seneca weiter ab. Aber nach ein paar Minuten fragte sie einfach heraus.
»Wer hat die Neun Schwestern ermordet?«
Das riss alle aus dem Tiefschlaf.
Monsieur Orneaux’ Augen verengten sich zu Schlitzen, wodurch er noch ausgemergelter aussah. »Darüber weiß ich nichts. Ich unterrichte Latein.«
»Warum hat Madame Goût dann gesagt, der Mord an den Schwestern falle in Ihren Kompetenzbereich?«, hakte Clementine nach.
Ich legte meinen Bleistift ab. Zum ersten Mal wusste ich Clementines Aufdringlichkeit zu schätzen.
Monsieur Orneaux’ Miene verfinsterte sich; er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und stemmte die Fingerspitzen gegeneinander. »Madame Goût. Das hätte ich mir denken können.« Und ohne ein weiteres Wort stand er auf und schrieb etwas an die Tafel.
Liberum
»Die Gruppe, die im Allgemeinen für den Mord an den Neun Schwestern verantwortlich gemacht wird, nennt sichselbst das Liberum.« Er tippte mit seiner Kreide gegen die Tafel, direkt über den Buchstaben
i.
»Was bedeutet der Stamm des Worts?«
Ohne uns Zeit zum Antworten zu geben, unterstrich er den Wortanfang. »
Liber
heißt
Kind
.« Er sah uns eindringlich an. »Wie Sie wissen, sind nur Menschen bis zum Alter von einundzwanzig Jahren potenzielle Untote. Ganz offensichtlich hat das Liberum deshalb dieses Wort
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