Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
hereinkam. »Du wirkst, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»Hab ich wohl auch«, sagte ich leise, während meine Gedanken Achterbahn fuhren. Hatte Dante die Nachrichtfür mich hinterlassen? Wie viele Leute verteilten schon in der Stadt Botschaften auf Latein?
»Warum bist du rausgerannt?«
Ich schwieg, versuchte, Dante zu spüren, aber da war nichts, nicht die leiseste Ahnung seiner Gegenwart, nirgendwo. Vielleicht drehte ich langsam durch. Vielleicht war er überhaupt nicht da gewesen. »Jemand, den ich lang nicht gesehen hatte.«
Warte auf mich
, schien der Wind zu flüstern, als wir nach draußen traten. Auch wenn Dante es nicht geschrieben hatte, warten würde ich.
Wir spazierten zu einem kleinen begrünten Innenhof in der Nähe und setzten uns auf den Boden, umgeben von ein paar kahlen Bäumen, an die sich nur noch wenige hartnäckige gelbe Blätter klammerten. Hinter uns stand ein Brunnen, auf dem ein steinerner Junge die Flöte spielte und die Nacht mit gleichmäßigem, ruhigem Geriesel erfüllte. Wie klang das, eine Flöte? So sehr ich mich auch bemühte, es fiel mir nicht mehr ein.
Noah lockerte den Knoten seiner Krawatte und entblößte die Sommersprosse auf seinem Hals. Er reichte mir eine Gabel.
Die Straßenlaternen erhellten sein Gesicht.
»Bon appétit«
, sagte er.
Als er mir ein Glas schäumenden Apfelwein einschenkte, fiel mir wieder etwas ein. »Du hast heute am Ende der Schulstunde gemeint, du hättest Hintergedanken gehabt bei deiner Kaffeeeinladung. Was denn für welche?«
»Ich wollte dich fragen, was du neulich in dem Krankenhaus gemacht hast. Mit Anya.«
»Oh.« Sofort bereute ich meine Frage.
Ich starrte auf meinen Kuchen, der trotz aller Gelüste nach nichts schmeckte. Ich könnte ihm etwas vorlügen. Ihm erzählen, dass ich dort jemanden besucht hatte.
»Du hast dort niemanden besucht«, sagte Noah.
Ich biss die Zähne zusammen. Gut, das war schon mal nichts. Aber ich konnte mich immer noch hinauswinden. Oder ihm ganz einfach die Wahrheit anvertrauen. Ich spürte seinen Blick auf mir. Gerade war er mit mir durch die ganze Stadt gerannt, weil ich geglaubt hatte, Miss LaBarge gesehen zu haben.
Ich griff in meine Tasche und befühlte das Stück Papier, auf das ich beide Teile des Rätsels notiert hatte. Ich erzählte ihm von meinen Visionen, vom Krankenhaus und vom Friedhof, wie ich beide aufgesucht und das Rätsel entdeckt hatte. Dante und Clementine sparte ich aus. »Und das Grab war da, genau wie ich es in der Vision gesehen hatte.«
»Du machst Witze.« Sein Blick fing meinen ein.
»Nein«, sagte ich leise.
»Das kann nicht sein«, sagte er und lächelte schwach, um seine Unsicherheit zu überspielen. »Ich dachte, diese Unsterblichkeitsgeschichte wäre einfach eine Legende.«
Ich zog das Blatt mit den Versen aus meiner Tasche und reichte es ihm. Er faltete es auf, breitete es auf dem Boden aus und las die Inschriften.
lass dich, um ihm nachzuspüren,
von des Bären Nase führen
hinab in feuchte Salzesnacht;
zur Ruh’ gebettet ist’s bewahrt,
denn nur dem Besten unsrer Art
sei es vermacht.
Eine lange Weile sagte Noah gar nichts. »Das hast du wirklich gefunden? Du hast dir die nicht einfach ausgedacht?«
»Warum sollte ich mir die ausdenken?«
Das Lächeln rutschte ihm vom Gesicht. »Keine Ahnung.«
Ich rückte näher an ihn heran und beugte mich über das Blatt. »Ich hab ewig drüber nachgedacht, was das heißt, aber ich komm nicht drauf. Auf dem Friedhof gibt’s nirgendwo Wasser, nur einen Trinkbrunnen.«
Er hielt die Zeilen ins Licht, las sie leise noch einmal und sah mir dann in die Augen. »Natürlich liegt das Geheimnis nicht in dem Grab. Schau.« Er deutete auf die Zeile
zur Ruh
’
gebettet ist
’
s bewahrt.
»Wenn diese Zeile für sich alleine auf einem Grabstein stünde, würde man schon glauben, dass das Geheimnis buchstäblich in diesem Grab liegt. Aber wenn man’s zu dem Rätsel aus dem Krankenhaus dazunimmt, ändert sich die Bedeutung.«
»Der Grabstein markiert überhaupt nichts«, erkannte ich, als ich das Blatt betrachtete.
»Genau«, sagte Noah. »Auf dem Friedhof liegt es nicht begraben. Das ist nur ein Trick, damit alle, die danach suchen, genau das glauben. Aber da ist es nicht. Es liegt in Salzwasser. Vielleicht im Meer. Das Problem ist, dass dir der letzte Teil fehlt, und ich schätze, der ist in Wirklichkeit der erste Teil. Schau dir mal die Zeichensetzung an.«
»Wie willst du wissen, dass nur noch ein
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