Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
Hintergrund, ohne Getuschel.
Sie schnäuzte sich. Leise drückte ich mein Ohr gegen die Tür. Sie weinte leise.
»Ich kann dich hören«, schrie sie plötzlich. »Verzieh dich!«
Erschrocken fuhr ich zurück. Und ohne nachzudenken schlüpfte ich in meinen Mantel, wollte einfach nur weg. Egal wohin.
Als ich die Zimmertür öffnete, stand Noah direkt vor mir, einen Arm wie zum Anklopfen gereckt.
»Noah«, schrak ich hoch. »Was machst du hier?«
Sein Gesicht war rot und angespannt und er wirkte komplett durcheinander. Aber als er mich sah, wurde sein Ausdruck weicher. »Ich wollte gerade zu dir.«
Verwirrt kratzte ich mich am Kopf. Im Hintergrund hörte ich, wie Clementine im Bad das Wasser aufdrehte.
»Was ist los mit dir? Bist du auf dem Sprung?« Beim Anblick meines Mantels und Schals bekam seine Stimme einen panischen Unterton.
»Ich – bin okay«, sagte ich. Eine bessere Antwort brachte mein benebeltes Hirn jetzt nicht zustande. »Ich geh nur kurz spazieren.«
»Kann ich mit?«
Ich warf einen Blick auf Clementines Tür. Das fehlte mir noch, dass Clementine mich hier beim Plausch mit Noah ertappte. »Okay.«
»Okay.«
Wir gingen schweigend, beide in Gedanken versunken, und die Ampel vor uns sprang lautlos um. Als wir am Straßenrand auf eine Gelegenheit zum Überqueren warteten, drehte sich Noah zu mir. »Ich hab mit Clementine Schluss gemacht.«
Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen. »Das tut mir so leid«, sagte ich aus reiner Hilflosigkeit.
»Danke.«
Mehr kam nicht von ihm und ich fragte nicht nach.
Nachts war die Stadt ganz anders. Ziellos wanderten wir durch die Straßen, vorbei an Sexshops, Headshops, Tattoostudios und Peepshows. Die schmutzverschmierten Fenster der Lokale waren teilweise eingeschlagen; andere leuchteten neonhell.
Als wir an einem 2 4-Stunden -Café vorbeikamen, blieb ich stehen. Durch die Scheibe sah ich jemanden in einer hellbraunen Anzugjacke, die mir sehr bekannt vorkam.
»Da ist Dr. Neuhaus«, sagte ich.
Unser Psychologielehrer saß einsam an einem Tisch und starrte gedankenverloren auf einen vollen Teller.
Es war ein verrauchtes französisches Bistro, das billigen Wein ausschenkte. Im Fernseher lief ein Hockeyspiel. Es war ziemlich leer, bis auf zwei ältere Männer mit Zigarren und ein paar Collegeschüler, die sich an die Kellnerin ranmachten.
»Warum ist der so spät noch allein unterwegs?«, murmelte ich und beobachtete, wie er in seinem Essen rumstocherte.
»Weißt du über ihn Bescheid?«, fragte Noah hinter mir.
»Über was?«
»Der war einer der besten Wächter in seiner Klasse. Mein Vater hat gemeint, er sei absolut furchtlos gewesen, hat sich immer als Erster freiwillig gemeldet und ist als Erster der Spur eines Untoten gefolgt. Ganz früher waren sie mal befreundet.
Irgendwann hat er dann geheiratet und einen Sohn gekriegt. Anscheinend war ich mit dem Kind auch befreundet, als wir klein waren, aber ich erinnere mich überhaupt nicht mehr daran.«
»Habt ihr gar keinen Kontakt mehr?«
Noah schüttelte den Kopf. »Er ist mit zehn gestorben. Im Vorgarten vom Baum gestürzt.«
Meine Hand fuhr zum Mund.
»Aus lauter Trauer hat Dr. Neuhaus sich entschlossen, abzuwarten, bis sein Sohn wiederaufersteht, statt ihn zubegraben. Das war der Anfang vom Ende der Freundschaft zwischen ihm und meinem Vater.«
»Was soll das heißen?«
»Dr. Neuhaus hat beschlossen, ihn zu Hause zu unterrichten. Angeblich wollte seine Frau den Jungen begraben, aber Dr. Neuhaus hat es nicht über sich gebracht. Das hat dann wohl auch die Familie zerstört – nicht der Tod an sich, sondern Dr. Neuhaus’ Unfähigkeit, damit umzugehen.«
»Wie, hat die Familie zerstört?«
Im Restaurant wurde Dr. Neuhaus gerade von einer mageren Kellnerin angesprochen, doch er schien zu weggetreten, um sie zu hören. Erst als sie ihn am Arm berührte, drehte er sich um.
»Seine Frau hat sich scheiden lassen und ihm die Pflege für den untoten Sohn überlassen.« Noah zuckte die Schultern. »Wohin das führt, weißt du. Fehler über Fehler und schließlich musste er ihn doch begraben. Seinen eigenen Sohn. Kann man sich das vorstellen?«
Durch mein Spiegelbild im Fenster starrte ich auf Dr. Neuhaus. »Wann ist das passiert?«, fragte ich mit wackliger Stimme.
»Vor zehn Jahren etwa, vielleicht mehr. Danach ist er Psychologe geworden.«
»Ich muss hier weg.« Ich riss mich vom Fenster los. »Ich will hier nicht mehr sein.« Obwohl ich mir nicht sicher war, ob
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