Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
ich damit hier vor dem Café meinte oder hier in Montreal oder hier ganz im Allgemeinen. Das alles war einfach zu kompliziert.
»Ich auch nicht«, sagte Noah und sein Atem löste sich in der Nacht auf. Ich folgte seinem Blick, dorthin, wo überden Vordächern die Leuchtschilder eines Kinos hinausragten. »Hey – wollen wir uns einen Film ansehen?«
Das Einzige, was nach Mitternacht noch lief, war ein Schwarz-Weiß-Film über einen Mann, der den Mord an seiner Frau plante. Mich schauderte, als ich die trüben Farben des Filmposters betrachtete. Wollten die sich über mich lustig machen? Aber bevor ich mich versah, wartete ich schon auf Noah, der zwei Eintrittskarten, eine Tüte Popcorn und zwei große Cola erstand. Wir waren die einzigen Zuschauer und setzten uns genau in die Mitte.
»Ein Klassiker«, sagte Noah. »Wirst du lieben.«
Erst als es losging, wurde mir klar, dass alles auf Französisch war, ohne Untertitel.
»Die reden so schnell, ich krieg kaum was mit«, flüsterte ich Noah zu, als er mir das Popcorn reichte.
Nach einem Moment der Verwirrung begriff er. »Oh nein«, sagte er. »Hab ich total vergessen.«
Er räusperte sich, lehnte sich näher an mein Ohr und begann, mit tiefer, deutlicher Stimme zu übersetzen. Ich rutschte tiefer in meinen Sitz, lachte trotz allem da draußen und süffelte meine Cola, während sich unsere Schenkel gegeneinanderpressten. Irgendwann zwischen einer Frau, die in kratzigem Französisch herumgurrte, und einer Fliege, die es sich auf der Linse des Projektors bequem machte, schlief ich ein. Mein Traum war ein chaotischer Wirbel aus Mord und Verrat, mit Noah und mir in Schwarz-Weiß, wie wir lächelnd und Händchen haltend in ein weißes Licht rannten.
Stunden später stupste mich ein mit Besen und Kehrblech bewaffneter Mann sanft in die Wirklichkeit zurück. Ich blinzelte. Die Leinwand leuchtete weiß und das Popcornlag um unsere Füße verstreut. Noahs Kopf ruhte auf meiner Schulter und seine schwitzige Hand lag auf meiner. »Renée«, murmelte er im Schlaf. Er träumte von mir, genau wie ich von ihm geträumt hatte.
Da wurde mir klar, dass meine Träume zum ersten Mal seit Monaten nur meine eigenen gewesen waren.
Elftes Kapitel
Der Name im Briefkasten
D ezember in Montreal, das hieß Dunkelheit und Ödnis, das hieß Wind, so stark, dass er einen Menschen umblasen konnte, und Schnee, der Parkuhren und Fahrradständer unter sich begrub. Vom Fenster unseres Klassenzimmers aus wirkte die Stadt verlassen wie nach dem Weltuntergang. Und für mich entsprach das ganz der Wirklichkeit. Die Welt, die ich zu kennen geglaubt, die Dante bunt gemacht hatte, war jetzt verschwunden und alles fühlte sich leer und beliebig an. Jeden Morgen war es schwerer, aus dem Bett zu kommen. Die Aussicht, noch einen Tag überstehen zu müssen, war schwer zu ertragen. Ich konnte mich kaum aufs Lernen für die Abschlussklausuren konzentrieren und jedes Mal, wenn diese Stimme in mir schrie:
Such die neunte Schwester!,
verbot ich ihr den Mund. Die Neun Schwestern waren nicht mehr als eine Gruppe kluger Frauen, die irgendein literarisches oder politisches Geheimnis bewahrt hatten. Die Unsterblichkeit war eine Legende. Und selbst wenn nicht, warum danach suchen? Mein einziger Grund für die Suche war Dante gewesen, weil ich für immer mit ihm zusammen sein wollte.Doch ich wusste nicht, ob das immer noch mein größter Wunsch war.
Nach der Nacht im Kino wurde zwischen Noah und mir alles anders, obwohl es so leise geschah, dass man es kaum festmachen konnte. Wir gingen noch zusammen spazieren oder stapften nach dem Unterricht durch die matschigen Straßen, um etwas zu essen oder bei Espressomaschinengesurre mit Anya an wackligen Tischen für die Klausuren zu büffeln. Nach außen schien alles beim Alten. Ich erzählte Noah nichts von Dante, aber er schien sich sein Teil zu denken. Da war irgendetwas an der Art, wie er mich betrachtete, wenn er sich unbeobachtet glaubte.
»He, vielleicht war die neunte Schwester ja Ärztin«, schlug er mitten im Lernen vor, als er mich dabei ertappte, wie ich durchs Fenster einem Schneepflug nachstierte. »Vielleicht war das Rätsel deshalb im Royal Victoria versteckt.«
Ich zuckte die Achseln. »Kann sein.«
»Oder vielleicht war sie schwer krank«, schlug Anya vor, »und hat das Rätsel unter ihrem Bett versteckt.«
Noah kratzte sich am unrasierten Kinn. »Scheint alles irgendwie möglich. Wir könnten die Krankenhausakten durchgehen. Was meinst du,
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