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Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Woon
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untotenJungen, hielt den Film an und trat dann zur Leinwand. »Sie meinen das hier?«, fragte er und wies auf die Regenbogenhaut, die gerade mit dem Weißen im Auge zu verschwimmen begann. Genau wie bei Dante. »Wenn die Untoten altern, werden sie hinfällig und verlieren ihre Sinne. Mit anderen Worten: Der Junge hier erblindet.«
    »Was?«, murmelte ich, obwohl nur Anya mich hören konnte. Dante wurde blind? Davon hatte er mir nichts erzählt.
    Dr.   Neuhaus deutete auf das Standbild des untoten Jungen. »Wie Sie sich erinnern werden, war er zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Jahre an der Schule. Aber als ich ihn fragte, ob das Seelennehmen schlecht sei, hatte er immer noch keine Ahnung, wovon ich rede. Darum sind sehr junge Untote so gefährlich. Stirbt ein Kind und steht wieder auf, bevor es die nötige Reife erlangt hat, Gut und Böse zu unterscheiden, dann wird es den Unterschied nie begreifen. Dieser Junge war bei seinem Tod sechs Jahre alt. Geistig wird er immer sechs Jahre alt bleiben, egal wie viele Jahre er noch hat. Diese untoten Kinder sind wild, unbelehrbar und völlig amoralisch. Sie nehmen sich, was sie wollen, ohne Scham, ohne Schuldbewusstsein. Und wie Sie gesehen haben, sie sind flink.«
    Das Gespräch wanderte von dem Jungen zur kleinen Wächterin, die gerade ihr erstes Begräbnis hinter sich gebracht hatte. »Sie ist genau wie wir«, hörte ich von allen. Aber mich interessierte sie nicht.
    Leise hob ich meine Hand. Durchs Stimmengewirr hindurch rief Dr.   Neuhaus mich auf.
    »Ja, Renée?«
    In der Klasse wurde es still.
    »Im ersten Interview hat der untote Junge gesagt, er hätte die Seele seines Bruders genommen, weil er seinen Laster finden wollte«, sagte ich langsam und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. »Er hat gesagt, sein Bruder wollte es ihm nicht verraten, also hätte er es eben
selbst rausgefunden.
«
    Clementine wollte schon dazwischenfahren, doch Dr.   Neuhaus streckte die Hand aus und ließ mich ausreden.
    »Was hat er damit gemeint?«, fragte ich.
    Dr.   Neuhaus faltete die Hände. »Wie wir alle wissen, erhält der Untote einen kleinen, vorübergehenden Lebensschub, wenn er eine menschliche Seele nimmt.«
    Alles nickte.
    »Es gibt aber darüber hinaus eine umstrittene Auffassung, nach der beim Kuss des Untoten noch mehr ausgetauscht wird als Lebenskraft. Vereinzelte Stimmen in der Wächterforschung meinen, dass beim Absorbieren der menschlichen Seele durch den Untoten auch einige der menschlichen Erinnerungen in den Untoten gelangen. Mit anderen Worten: Der untote Junge in dem Interview hat die Seele seines Bruders genommen, um die Information aufzunehmen, die er brauchte.«
    Ich krallte mich in die Armlehne meines Stuhls. Erinnerungen aufnehmen? Das klang entsetzlich vertraut. Neben mir wisperte Anya: »Bist du okay? Du bist so rot im Gesicht.«
    Ich atmete durch und dann noch mal, aber meine Brust war wie zugeschnürt. »Alles okay«, sagte ich schnell, doch je länger ich über Erinnerungen und Absorption nachdachte, desto übler wurde mir. Mir brach der Schweiß aus und ich presste die Lippen aufeinander. Es war, als wollte ein Geheimnis aus mir ausbrechen. Meine Kehle fühltesich völlig trocken an, wie mit Mull ausgestopft. Ich schluckte.
    »Dieses Phänomen nennt man   –«
    »Wanderlust«,
platzte irgendwer heraus und beendete Dr.   Neuhaus’ Satz.
    Ich blickte um mich, um den Sprecher ausfindig zu machen, da wurde mir klar, dass ich es selbst gewesen sein musste.
    »Ja«, sagte der Doktor und musterte mich überrascht. »Würden Sie bitte der Klasse erklären, worum es sich dabei handelt?«
    Eine Welle der Übelkeit überrollte mich und ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Erklärung dafür, das Wort war aus dem Nichts gekommen.
    »Ganz wörtlich genommen ist das der deutsche Begriff für die Freude am Reisen. Für uns Wächter jedoch bezeichnet es den Drang der Seele, von einem Körper in den anderen zu wandern. Und das tut sie, wann immer man ihr Gelegenheit dazu bietet. Es gibt zwei Arten von Wanderlust. Was Sie im ersten Interview gesehen haben, war die weitaus häufigste Variante. Dabei werden triviale, unzusammenhängende Informationsfetzen transferiert.« Er reckte einen Finger empor. »Das funktioniert allerdings meist nicht wirklich richtig, denn die Informationsübertragung ist völlig willkürlich. Der untote Junge aus dem Interview hat seinen Laster nie gefunden. Er hat es mal versucht und jetzt ist dieses Stückchen Information für immer

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