Dead - Ein Alex-Cross-Roman
Sandy mich zu sich an den Randstein gewunken hatte, offensichtlich, damit Anthony freie Schussbahn für sein Foto hatte.
»Okay«, sagte ich. »Aber wieso das alles?«
»Wie wär’s denn damit: weil niemand außer uns zu so etwas in der Lage wäre? Niemand! Oder damit: weil wir fast zehn Jahre lang am Theater gearbeitet und kaum genug Geld verdient haben, um die Miete zu bezahlen. Oder weil wir Ihren Ruhm gesehen haben, zumindest den, den Sie früher mal hatten, und ein bisschen was davon abhaben wollten.«
Er hielt inne und starrte mich eine Zeitlang stumm an. »Ist es das, was Sie hören wollen, Herr Dr. Cross? Hilft Ihnen das dabei, uns in irgendeine Schublade zu stecken, damit Sie uns ein bisschen besser verstehen können?«
Ich erwiderte seinen Blick. »Das kommt darauf an. Entspricht denn irgendetwas davon der Wahrheit?«
Er lachte, genau wie Sandy. »Ach was. Kein Wort. Wie sollte es jemandem wie mir schlecht ergehen? Ich habe Geld, und jetzt bin ich auch noch berühmt. Sogar Kyle Craig ist ein Fan von uns, und wir sind Fans von Kyle. Die Welt ist wirklich ein Dorf.
Kyle Craig ist eines unserer Idole, genau wie Ted Bundy und John Wayne Gacy. Und Gary Soneji. Als Kyle in den Hochsicherheitsknast in Florence gesteckt wurde, da haben wir uns überlegt, wie wir zu ihm Kontakt aufnehmen könnten. Er wollte alles erfahren, was wir vorhatten, und uns ging es umgekehrt genauso. Da draußen laufen ganz schön viele von unserer Sorte rum, Herr Doktor. Diejenigen, die töten, und diejenigen, die wünschten, sie könnten es. Kyles Rechtsanwalt war auch einer seiner Fans. Ein sehr treu ergebener Fan, könnte man sagen. Jetzt verfolgt Kyle Craig unseren Weg, so wie wir früher seinen verfolgt haben. Er ist übrigens hier in Washington. Das ist doch aufregend, finden Sie nicht?«
119
Ich schaute mir DCPKs Live-Vorführung an, denn nichts anderes war es: eine genau durchkalkulierte Vorstellung. Allerdings geschah im Augenblick auch noch etwas anderes, etwas, das mich momentan sehr viel stärker interessierte, etwas, das mit diesem Campingwochenende im Catoctin Mountain Park zu tun hatte.
Bree hatte die Hände hinter ihrem Rücken ununterbrochen in Bewegung, und zwar äußerst unauffällig, soweit ich das beurteilen konnte. Sie versuchte ihre gefesselten Handgelenke zu befreien - das zumindest konnte ich auf dem Laptop erkennen. Ich erkannte außerdem, dass ich dafür sorgen musste, dass Anthony und Sandy sich weiterhin voll und ganz auf mich konzentrierten und nicht auf das, was Bree zu tun versuchte.
»Und doch erntet Tyler Bell den ganzen Ruhm? Nicht ihr beide? Schon gar nicht Sandy?«, fragte ich, als läge mir wirklich etwas daran.
»Sie haben nicht richtig zugehört. Das alles hier ...« Er ließ den Arm einmal durch den Raum schweifen. »… ist doch bloß das Täuschungsmanöver des Tages. Sobald wir weg sind, sobald alle die Geschichte gesehen haben, fängt das Gleiche wieder von vorne an . Vielleicht nehmen wir uns wieder einen Bullen vor. Oder einen Reporter. Einen Nachrichtensprecher? Irgendeinen Toni Wichtig von der Washington Post oder USA Today .«
»Sie wissen aber, dass Sie nicht die Ersten sind, die so etwas abziehen, oder? Colin Johns? Miami, 1995?«
Das war der Moment, als Anthonys Fassade die ersten, winzigen Risse zeigte. »Nie gehört.«
»Genau darauf will ich ja hinaus. Colin Johns war ungefähr, nun ja, sagen wir mal, fünf Minuten lang berühmt. Und er war sehr viel besser in seinem Metier als Sie … Sie alle beide.«
Anthony stand mit verschränkten Armen da und nickte bedächtig. Ich sah ihm an, dass er jetzt wütend auf mich war. »Sie sind wirklich ein ziemlich mieser Psychoklempner, wissen Sie das eigentlich? Was wollen Sie damit erreichen? Dass ich Sie doch nicht umbringe?«
»Nein, aber dass es Ihnen nicht mehr ganz so viel Spaß macht.« Selbstbewusstsein zeigen, darum ging es jetzt, nicht um Tatsachen, nicht um irgendwelche therapeutischen Methoden. Meine Fantasie schlug Purzelbäume.
»Und was war mit Ronny Jessup? Drei Morde, alle live im Fernsehen zu sehen. Sogar unter seinem richtigen Namen. Haben Sie je etwas von Ronny Jessup gehört? Sie vielleicht, Sandy?«
»Nein, aber ein vorlauter, kleiner Schmutzfink hat mir geflüstert, dass du bald sterben wirst«, sagte sie grinsend. »Ich kann es kaum erwarten.«
Mit zwei großen Schritten kam Anthony auf mich zu und knallte mir den Kolben seiner Pistole ins Gesicht. »Nur weiter so, Herr Dr. Cross!« Drohend stand er
Weitere Kostenlose Bücher