Dead - Ein Alex-Cross-Roman
um überhaupt gehört zu werden. »Bist du so weit? BIST DU SO WEIT? He, ich rede mit dir. Tu nicht so, als wäre ich gar nicht da!«
Die Absätze des Mädchens kratzten über den Beton, während sie versuchte sich weiter von ihm zu entfernen - weiter weg von diesem Wahnsinnigen, der bereits ihren Freund umgebracht hatte. Die Handschellen schnitten ihr tief ins Handgelenk, doch die Schmerzen schienen ihr nichts auszumachen. Sie hatte nur einen Gedanken: Weg von hier, weg von diesem Irren mit der Richard-Nixon-Maske, denn das war er.
Sie war eigentlich ein hübsches Mädchen, im Stil eines Vorstadt-Cheerleaders vielleicht. Lydia Ramirez, das stand jedenfalls in ihrem Führerschein. Siebzehn Jahre alt, aber er hatte kein Mitleid mit ihr. Jugendliche waren die erbärmlichsten Menschen überhaupt. »Okay, jetzt keine Bewegung mehr. Ich bin gleich wieder da. Und diesen ›Reh im Scheinwerferlicht‹-Blick, den solltest du unbedingt beibehalten.«
Hayneswiggle stand erneut auf und ließ seinen prüfenden Blick über die Szenerie unterhalb schweifen. Das Publikum war versammelt, und es schien ungeduldig auf eine Fortsetzung der Show zu warten. Auf dem Highway herrschte jetzt das totale Chaos. Der Verkehr Richtung Norden staute sich bereits den Potomac entlang.
Der umgekippte Minivan am vorderen Ende des Staus sorgte dafür, dass fast alle Autos sich auf der Südseite der Fußgängerbrücke
befanden, die Windschutzscheiben zu ihm gewandt. Ein zerquetschter Volvo direkt unter ihm stieß eine zischende Dampfwolke aus. Ein paar Schaulustige riefen ihm etwas zu, aber er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Wahrscheinlich waren sie einfach bloß sauer, weil er ihnen Unannehmlichkeiten beschert hatte. Na ja, leckt mich.
»Kann euch nicht hören!«, brüllte er zurück. Dann fiel ihm etwas ein.
Er hob etwas vom Fußweg auf, eine der Requisiten, die er anlässlich der Show mitgebracht hatte - ein Megafon mit fünfundzwanzig Watt Leistung und einer Reichweite von fast tausend Metern.
Er richtete es auf die Menschenmenge. Ein paar Vollidioten da unten duckten sich tatsächlich.
» Ich bin wieder da-haaaa! «, rief er. » Habt ihr mich vermisst? Aber natürlich habt ihr mich vermisst! «
Etliche Fahrer, die noch in ihren Autos saßen, stiegen jetzt ebenfalls aus. Eine Frau mit blutiger Stirn schaute benommen zu ihm empor.
»Ihr habt gedacht, es würde ein ganz normaler Tag werden, oder? Dann denkt noch mal nach, Freunde. Heute ist ein besonderer Tag, ein Tag, den ihr nie vergessen werdet. Davon könnt ihr euren Enkeln erzählen - falls unsere durchgeknallte Welt wirklich so lange Bestand haben sollte. He, wo wir gerade beim Thema sind: Wer von euch hat eigentlich Al Gore gewählt?«
Er stellte das Megafon ab und holte etwas aus seiner Tasche, etwas, das im Sonnenlicht glänzte. Dann beugte er sich über das Mädchen, das immer noch vor allen Blicken verborgen war. Einen Augenblick später stand er wieder - und hatte das Mädchen im Arm.
»Hier ist sie! Beifall bitte für unseren kleinen Star, Lydia
Ramirez.« Dann, mit einem breiten Lächeln im Gesicht, warf er sie über das Brückengeländer. Ganz beiläufig, als wäre es gar nichts.
Die Arme und Beine des Mädchens flogen in die Luft, höher als der übrige Körper. Dann, als die Handschelle, die um das Geländer lag, Spannung bekam, war ein metallisches Sirren zu hören. Das Publikum hatte die Münder weit geöffnet.
Das Mädchen schlug gegen die Brücke, ihre Füße baumelten direkt über der Fahrbahn.
»Verarscht!«, sagte David Hayneswiggle in sein Megafon. »Seht genau hin. Auf sie , bitteschön, nicht auf mich. Ich habe doch gesagt, dass sie heute unser Star ist. Tut so, als sei ich gar nicht da. Schaut sie an!«
Während das Publikum sie anstarrte, erschien eine dunkle, gebogene Linie am nackten Hals des Mädchens. Dann wurde sie zu einer roten Fläche, die sich auf ihrem Hals und über ihr T-Shirt ausbreitete. Die Leute, die unten standen, fingen langsam an zu begreifen, was geschehen war - ihr war die Kehle aufgeschlitzt worden.
Dann erstarben ihre Bewegungen, abgesehen von einem leisen, rhythmischen Schwingen ihres leblosen Körpers.
»Okay, das war’s. Die Show ist beendet. Für heute zumindest. Vielen Dank für Ihr Erscheinen. Ganz herzlichen Dank. Und fahren Sie vorsichtig.«
Die Leute fingen an zu hupen und wütende Schreie auszustoßen. Schließlich erklang von irgendwo her eine Polizeisirene, aber sehr weit entfernt. Sie schafften es nicht durch
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