Dead - Ein Alex-Cross-Roman
»Aber was haben Sie davon?«
Sandy senkte den Blick und wandte ihn gleichzeitig ab. Vielleicht war ihr die Frage zu intim. Es war irgendwie interessant, dass sie zwar in der Lage war, Anthony in meinem Wartezimmer einen runterzuholen, es aber nicht schaffte, darüber zu sprechen.
»Sie müssen meine Frage nicht beantworten, und Sie müssen sich auch nicht schämen«, sagte ich.
»Nein«, sagte sie. »Ist schon gut. Ich sag’s Ihnen. Es ist nur so, dass Sie mich nachdenklich gemacht haben. So, wie Sie es sagen, klingt es eigentlich völlig nahe liegend, aber … ich schätze mal, ich habe es einfach noch nie aus dieser Perspektive betrachtet.« Sie setzte sich ein wenig auf und lächelte mich tatsächlich an. Seltsam , dachte ich. Das sieht der Sandy, die ich kenne, so gar nicht ähnlich.
Was mir aber viel mehr Sorgen bereitete, war die Frage, wie es mit den beiden weitergehen würde. Meinem Gefühl nach passten Sandy und Anthony überhaupt nicht zusammen, aber das bedeutete nicht, dass ich irgendetwas verhindern konnte.
Es war erst zehn nach acht und schon jetzt ein schlechter Tag.
Der um neun noch ein bisschen schlechter wurde.
Anthony saß nicht im Wartezimmer. Er hatte mich sitzen lassen. Ich fragte mich, ob ich ihn je wieder zu Gesicht bekommen würde.
62
Um kurz nach neun trafen sich Sandy Quinlan und Anthony Demao in einem kleinen Café in der Sixth Street. Sie hatten dieses Treffen schon vorher abgemacht. Sie hatten gewusst, dass Dr. Cross sie erwischen würde, weil sie die ganze Sache von vornherein geplant hatten.
Anthony hatte sich einen Latte und ein süßes Hefebrötchen bestellt und auf Sandy gewartet, die einmal an dem Sahnehäubchen leckte, bevor sie anfing zu reden. »Er hat mir nicht mal was von seinem Kaffee angeboten«, sagte sie stirnrunzelnd. »Dabei hatte er sogar zwei Becher.«
»Er war wütend, weil du dich in seiner Praxis danebenbenommen hast. Also los, erzähl mir alles. Ich will jedes einzelne herzzerreißende Detail hören.«
Sandy schmatzte und leckte sich die Lippen sauber, dann sagte sie: »Na ja, Cross war wie immer sehr einfühlsam, vielleicht sogar mitfühlend. Mir gegenüber - nicht was dich angeht, du Lümmel. Und ehrlich, würde man wahrscheinlich sagen. Er hat nämlich endlich zugegeben, dass er richtig scharf auf mich ist. Wer wäre das nicht? Aber jetzt kommt die eigentliche Überraschung. Er will nämlich deinen Schwanz lutschen!«
Sie brachen in Gelächter aus und nippten an ihren dampfenden Getränken, dann lachten sie noch ein bisschen mehr. Schließlich beugte sich Anthony dicht an Sandys Ohr. »Da ist er nicht der Einzige, stimmt’s? Hey, was meinst du? Ob er irgendeine Ahnung hat, was wir vorhaben? Was das Ganze eigentlich soll?«
Sandy schüttelte den Kopf. » Kei… nen … Schim… mer . Da bin ich mir ganz sicher.«
»Aha. Und wieso?«
»Weil wir viel zu gut sind. Du und ich, wir sind so dermaßen brillante Schauspieler. Aber das weißt du natürlich bereits. Und ich auch. Dazu kommt noch das fabelhafte Drehbuch.«
Anthony lächelte. »Wir sind wirklich gut, was? Wir könnten wirklich jeden an der Nase rumführen.«
»Die Leute würden alles glauben, was wir wollen. Pass mal auf.«
Sandy setzte sich auf Anthonys Schoß, das Gesicht ihm zugewandt. Sie fingen an, einander zu streicheln und zu küssen, tauchten die Zungen tief in den Mund des anderen. Ihre Hände waren überall, und dann fing Sandy an, sich mit dem Becken an Anthony zu reiben.
»Besorgt euch doch ein Hotelzimmer«, sagte eine ernsthaft wirkende Frau im mittleren Alter, die ein paar Tische weiter vor einem Laptop saß. »Bitte. Das kann ich am frühen Morgen wirklich nicht gebrauchen.«
»Ganz genau«, ließ sich noch eine andere Stimme vernehmen. »Benehmt euch mal wie Erwachsene, um Gottes willen.«
Da flüsterte Sandy Anthony ins Ohr: »Siehst du? Die denken, dass wir immer noch ein Paar sind.«
Dann stand sie auf und zog Anthony mit sich. »Regt euch doch nicht so auf!«, sagte sie mit lauter Stimme. »Meine Güte, das ist mein Bruder !«
Sie standen schon draußen auf der Straße und mussten immer noch lachen.
»Das war toll, das hat wahnsinnigen Spaß gemacht!«, johlte Sandy und tanzte einen kleinen Siegestanz. Dann winkte sie den Leuten im Café zu, die sie durch die Fensterscheibe hindurch immer noch beobachteten.
»Das war der Brüller!«, pflichtete Anthony ihr bei. Dann
wurde er wieder etwas ernster. »Ich habe eine Nachricht von Kyle Craig bekommen. Er kann es
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