Dead End: Thriller (German Edition)
das ich zum Schlafen immer trage. Einen Augenblick lang kam mir alles so normal vor, dass es schien, als sei ich das einzig Verrückte auf der ganzen Welt. Ich war müde und massiv verkatert, und es fühlte sich an, als würden meine Glieder zittern, wenn ich versuchte, mich zu bewegen, ansonsten jedoch war ich okay.
Ohne nachzudenken huschte mein Blick hinauf, dorthin, wo die Kamera sein musste, die mich gefilmt hatte, und da wusste ich, dass alles anders war. Die Kamera war nicht da. Sie konnte gar nicht da sein. Die Rohre, hinter denen sie verborgen gewesen sein musste, waren nicht da. Die Kosmetika um das Waschbecken herum waren meine, doch der Spiegel war anders. Der, der in meinem Zimmer an die Wand geschraubt war, hatte eine kleine Scharte in der oberen rechten Ecke. Dieser hier war vollkommen heil.
Ich schob die Bettdecke zurück und setzte mich auf. Der Boden war auch nicht richtig. Er sah sauberer und neuer aus, und die Wand hinter dem Kopfende war nicht aus Rigips, sondern aus einem viel wärmeren, weicheren Material. Aus Sperrholz.
Ich würde nicht in Panik geraten. Ich würde nachdenken. Nicht einfach, mit so einem schweren Brummschädel, aber auch nicht unmöglich. Nur immer schön langsam.
Nick! Was zum Teufel hatten sie mit Nick gemacht?
Ich konnte Nick nicht helfen, wenn ich die Nerven verlor. Bestandsaufnahme. Ich befand mich in Gebäude 33, und sie hatten mein Zimmer aus Sperrholzplatten nachgebaut, so wie sie es bei Jessica gemacht hatten. Was hatte sie noch gesagt? Mein Zimmer, aber doch wieder nicht mein Zimmer.
Ich würde nicht durchdrehen.
Hier ging es darum, mir Angst zu machen, noch mehr Material für ihre grässlichen Filme zu kriegen. Noch wollten sie nicht, dass ich draufging. Ich hatte einen gewaltigen Vorteil den anderen jungen Frauen gegenüber, die hier gewesen waren. Ich wusste, wo ich mich befand, und ich wusste, wie man hier rauskam. Und diese Drecksäcke kannten mich nicht. Sie konnten gar nicht wissen, wovor ich Angst hatte. Bestimmt hatten sie etwas Unangenehmes in petto, doch damit kam ich klar. Ich würde ein bisschen herumquietschen, so tun, als sei ich viel verängstigter, als ich in Wirklichkeit war. Sie filmen lassen. Und dabei die ganze Zeit nach meiner Chance Ausschau halten.
Eins nach dem anderen. Was hatten sie mir gespritzt? Ich wusste noch, dass Castell mich von hinten festgehalten und Thornton mir die Nadel in den Hals gerammt hatte, dann erinnerte ich mich undeutlich daran, die Treppe hinuntergetragen worden zu sein. Danach kam nichts mehr. Ein starkes Beruhigungsmittel, würde ich sagen, und jetzt, wo ich aufgewacht war, ließ die Wirkung sicher allmählich nach. Ich würde langsam und unbeholfen sein, weit von meiner Bestform entfernt, aber trotzdem im Großen und Ganzen okay.
Ich stand auf und spürte, wie der Raum zur Seite kippte. Als es sich anfühlte, als würde ich das hinkriegen, streckte ich die Hand nach dem Fenster auf der andren Seite des Bettes aus. Die Vorhänge waren zugezogen, und ich wusste genau, dass dahinter etwas war, das ich nicht würde sehen wollen. Ich redete mir fest ein, dass ich damit klarkommen würde, fasste den einen Vorhang und zog ihn behutsam zurück.
Großer Gott!
Ich war rücklings gegen die Schranktür gekippt. In meinem Kopf war ein dunkles Nichts, das anschwoll wie ein Luftballon. Ich würde nicht durchdrehen. Auf gar keinen Fall. Dazu wäre mehr nötig als ein grauenvolles Foto. Als ich es über mich brachte, zwang ich mich, das schreckliche Bild abermals anzusehen, das sie an der Wand dieses Pseudozimmers befestigt hatten, genau dort, wo das Fenster hätte sein sollen.
Beim zweiten Mal war es leichter. Ich wusste, was mich erwartete. Eigentlich war es nichts, was ich nicht schon viele Male gesehen hatte. Sie hatten ein Obduktionsfoto von einer ermordeten Frau aufgetrieben, das vor über hundert Jahren gemacht worden war. Die Aufnahme war vergrößert. Das arme Geschöpf lag auf dem Bett in ihrem Mietzimmer in London, bis zur Unkenntlichkeit zerfleischt.
Vor drei Monaten hatte ich in London an einem Riesenfall mitgearbeitet. Frauen waren ebenso kaltblütig und brutal ermordet worden wie die auf diesem Foto. Und jetzt dachten diese Flachpfeifen, das war es, was mir am meisten Angst machte.
Die lagen ja so was von daneben.
Ich ging zurück zum Bett und setzte mich eine Weile hin, um wieder zu Atem zu kommen und den Kopf freizukriegen. Ich würde hier rausmüssen. Sehen, was draußen auf mich wartete. Gleich
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